Elektromyographie

Definition

Die Elektromyographie (EMG, electromyographie) ist eine klinische Untersuchungsmethode mit deren Hilfe man die elektrische Aktivität einzelner oder mehrerer Muskelfasern gleichzeitig objektiv erfassen kann. Dies kann nötig sein, um Schädigungen im muskulären Bereich zu identifizieren und genauer einschränken zu können.

Messverfahren

Die elektrische Aktivität der Muskelfasern kann bei der Elektromyographie entweder durch eine oberflächliche, auf der Haut befestigte, Elektrode abgeleitet werden, oder durch eine Nadelelektrode direkt am Muskel. Es werden zwei verschiedene Typen von Nadelelektroden verwendet.

Die monopolare Elektrode der Elektromyographie dient als Messelektrode, während eine oberflächlich auf die Haut geklebte Elektrode als Referenzelektrode dient.

Bei der konzentrischen Elektrode befindet sich ein feiner Draht als Messelektrode in der Nadel, die Nadelhülle dient dabei direkt als Referenzelektrode. Bei beiden Methoden der Elektromyographie (EMG) wird der Spannungsunterschied zwischen Mess- und Referenzelektrode für die klinische Auswertung herangezogen.

Anatomische Grundlagen

Ein Muskel ist aus sehr vielen einzelnen motorischen Einheiten aufgebaut, die je nach Muskeltyp aus wenigen bis sehr vielen Muskelfasern bestehen können. Jede dieser motorischen Einheiten wird über einen einzelnen Nerv angesteuert (Vorderhornzelle mit Axon). Je mehr motorische Einheiten ein Muskel hat, desto feinere Bewegungen sind möglich, da viele verschiedene motorische Einheiten durch verschiedene Nerven einzeln angesteuert werden können.

Summenaktionspotential einer motorischen Einheit

Wenn eine Nerv (Vorderhornzelle) vom Gehirn angesteuert wird, entladen (depolarisieren) sich alle zu dieser motorischen Einheit gehörenden Muskeln und ziehen sich zusammen, d.h. der Muskel bewegt sich (Kontraktion). Die elektrische Aktivität, die bei dieser Bewegung entsteht, bezeichnet man als Aktionspotential einer motorischen Einheit (MUAP), da die elektrischen Potentiale vieler einzelner Muskelfasern übereinandergelegt werden und zusammen erfasst werden. Mehr zur genauen Erregungsübertragung der Muskulatur können Sie unter "Motorische Endplatte" nachlesen.

Risiken der Elektromyographie

Die Elektromyographie (EMG) ist eine invasive Diagnostikmethode, die sehr weit verbreitet ist und in den seltensten Fällen zu Komplikationen wie Blutungen, Infektionen und Verletzungen des Nervs selbst führt.

Ablauf EMG

Das Ziel der Elektromyographie (EMG) ist herauszufinden, ob das klinische Beschwerdebild aus:

  • einer Schädigung des Nervs,
  • aus einer Schädigung des Muskels oder
  • aus keiner der genannten entsteht.

Dazu werden bei der Elektromyographie (EMG) verschiedene Charakteristika des Aktionspotentials motorischer Einheiten (MUAP) herangezogen, um eine dezidierte Auswertung der Elektromyographie zu ermöglichen. Zu den auszuwertenden Parametern gehören Wellenlänge (Amplitude) des MUAP, Zeit bis zum ersten Höhepunkt, Dauer des MUAP sowie die Anzahl der Phasen. Außerdem kann erörtert werden, ob die Anzahl der ausgelösten MUAPs pro Reizung des Muskels ausreichend, erhöht oder erniedrigt ist.Die elektromyographische Untersuchung jedes Muskels besteht aus vier unterschiedlichen Testverfahren, die alle jeweils an verschiedenen Orten des Muskels durchgeführt werden.

Beim Einführen der Elektrode wird der Muskel kurz gereizt und es entsteht ein ableitbares elektrisches Potential. Falls diese elektrische Aktivität auch deutlich nach dem Einführen der Nadel in den Muskel anhält, spricht dies für eine vorher vorhandene Schädigung des Muskels.
Diese kann die Folge von Entzündungen (Inflammation), krankhaften Veränderungen des Muskels (Myotonien) als auch fehlender Verbindung zum Nerven (Denervation) des Muskels sein. Kommt es beim Einführen der Nadel zu keinerlei elektrischer Aktivität, so spricht dies entweder für einen deutlichen Muskelschwund (Atrophie) oder ein bindegewebigen Umbau des Muskels (fibrotischer Muskel).

Als zweites Testverfahren der Elektromyographie (EMG) beurteilt man nach Einführen der Nadel die Spontanaktivität des Muskels in Ruhe.
Ein normaler Muskel sendet in Ruhe keine elektrischen Impulse aus, außer kleinere Potentiale in der Nähe der motorischen Endplatte, an der Übertragungsstelle von Nerv und Muskel.
Diese Potentiale sind mit 0,5 – 2 ms sehr kurz und völlig normal (physiologisch). In diesem Fall sollte man versuchen, die Nadel an einer anderen Stelle erneut einzuführen, an der keine motorischen Endplatten gereizt werden, um diesen Störfaktor aus der elektrischen Ableitung zu entfernen.
Wird trotzdem beim zu untersuchenden Muskels ein elektrisches Potential festgestellt, spricht man von Fibrillationen. Diese treten meistens dann auf, wenn der Muskel keinen Kontakt mehr zu seinem eigentlichen Nerv hat und dann dauerhaft selbst ein elektrisches Potential generiert.

Fibrillatonspotentiale dauern meist 1 bis 4 Millisekunden und können eine Wellenlänge von mehreren 100 Mikrovolt haben. Zusätzlich sind Fibrillationspotentiale streng rhythmisch und treten häufig zwei- oder dreimal direkt hintereinander auf. Nach einer Nervenschädigung können 10 – 14 Tage vergehen, bis Fibrillationen in der Elektromyographie (EMG) sichtbar sind.

Neben Störungen der Innervation können allerdings auch entzündliche Veränderungen zur erhöhten elektrischen Aktivität in Ruhe führen, besonders dann, wenn diese akut auftreten und mit Zelluntergang (Nekrose) verbunden sind. Neben den Fibrillationen kann es in Ruhe noch zu Faszikulationen kommen. Diese Faszikulation ist bedingt durch eine Schädigung des Nervens, der die motorische Einheit innerviert. Dabei wird der Nerv elektrisch entladen (depolarisiert) wodurch es in der motorischen Einheit zur Bildung von Aktionpotentialen kommt. Diese geschieht meistens mehrfach in der Minute und ist ein Zeichen für eine Nervenschädigung (Neuropathie).

Neben Nervenschädigungen können mit der Ableitung in Ruhe auch Schädigungen am Muskel selbst erkannt werden. Bei den sogenannten myotonen Entladungen handelt es sich um Aktionspotentiale, die ca. 100 mal pro Sekunde ausgelöst werden und wenige Sekunden dauern. Sie deuten auf eine Schädigung der Ionenkanäle in der Muskelmembran hin.
In der dritten Untersuchungsmethode wird die elektrische Aktivität des Muskels bei minimaler freiwilliger Bewegung des Muskels abgeleitet. Bei dieser Methode wird untersucht, ob die Muskeln zwischen der Kontraktion einen Pausenintervall von 50 bis 250 ms einlegen. Falls diese Zeit deutlich verringert ist (2 – 20ms), deutet dies auf eine erhöhte Erregbarkeit (hyperexzitatorisch) des Muskels hin. Diese Status kann beispielsweise durch Hyperventilation, Tetanus oder auch neuronale Erkrankungen wie Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) bedingt sein.

Findet man in dieser Phase der Elektromyographie (EMG) keinerlei elektrisches Potential, so geht man von einer kompletten Trennung der Nervenfasern vom Muskel (totale Denervation) aus.
Eine erneute Versorgung des Muskels mit Nervenfasern kann sehr lange dauern, da Nervenfaserung nur mit einer Geschwindigkeit von 1mm/Tag wachsen und dies ja nach Entfernung des Muskels zur Verletzungsstelle entsprechend lange dauern kann.
Deutlich häufiger im klinischen Alltag findet man allerdings eine chronisch partielle Denervation der Muskelfasern. In diesem Fall sind einige motorische Einheiten des Muskels nicht mehr durch die ihnen zugeordneten Nerven versorgt, zum Beispiel in Folge einer Erkrankung oder eines Unfalls. Der Körper versucht dies zu reparieren, indem sich die noch verbleibenden Nervenfasern erneut verzweigen um Muskelfasern, die nicht mehr nervlich versorgt werden, zu innervieren.
So können einzelne Nervenfasern bis zu fünfmal mehr Muskelfasern ansteuern kann als vorher. Kommt es dagegen zu einem Verlust von motorischen Einheiten, so sieht man häufig eine Vergrößerung (Hypertrophie) der noch verbleibenden motorischen Einheiten.
Die vierte Disziplin der Elektromyographie dient der Erfassung der MUAPs unter verstärkter willkürlicher Muskelkontraktion bis hin zur maximalen Kontraktion. Dies wird auch als Interferenzmusteranalyse bezeichnet.
Durch diese Betrachtungsweise kann man einen ersten Hinweis darauf bekommen, ob die Klinik auf einer Schädigung des Nervs oder des Muskels zurückgeht. Bei einer Schädigung des Muskels als Ursache der Beschwerden hat das MUAP eine geringere Amplitude, bei einer Schädigung des Nervs als Ursache der Beschwerden hat das MUAP eine größere Amplitude und das MUAP an sich dauert länger. Jedoch ist keiner der beiden Befunde allein charakteristisch für eine der beiden Schädigungstypen.

Zusammenfassung

Durch die Prinzipien der Elektromyographie können elektrische Potentiale von motorischen Einheiten erfasst und ausgewertet werden. Besonders zusammen mit der Analyse der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) bieten die EMG eine Möglichkeit klinische Symptome wie Muskelschwäche dezidiert aufzuarbeiten, als auch erste Einschätzungen für die Prognose als auch die erste Diagnose selbst von verschiedensten Nervenstörungen und entzündlichen Prozessen im Muskel zu erstellen.
Jedoch ist kein bestimmtes Potential in der Elektromyographie (EMG) charakteristisch für eine einzelne Erkrankung; deswegen muss das Ergebnis der Elektromyographie (EMG) immer im Kontext des Patienten sowie seiner sonstigen Erkrankungen und Untersuchungen interpretiert werden, um für den Patienten eine gewinnbringende Diagnostikmethode darzustellen.

Weiterführende Informationen zu diesem Thema

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Autor: Dr. Nicolas Gumpert Veröffentlicht: 09.04.2013 - Letzte Änderung: 22.10.2021