Hyperventilation (psychogen)

Definition

Der Begriff Hyperventilation steht für das unphysiologische Phänomen der beschleunigten und vertieften Atmung (hyper = zu viel, Ventilation = Belüftung der Lunge).

Physiologische Regulation

Normalerweise wird unser Atemantrieb über neurogene und chemische Stimuli reguliert. Vor allem der chemische Stimulus ist in Hinblick auf eine Hyperventilation entscheidend. Für das Verständnis der Hyperventilation ist es wichtig, den physiologischen chemischen Atemantrieb nachzuvollziehen. Die drei Hauptfaktoren, die Einfluss nehmen, sind ein erhöhter Kohlendioxid-Partialdruck (pCO2), der Anstieg von Protonen (H+) und ein erniedrigter Sauerstoff-Partialdruck (pO2).

Der stärkste Atemreiz wird durch einen Abfall des pCO2 gesetzt und wird auch als hyperkapnische Atemstimulation bezeichnet. Der Wert wird durch zentrale Chemorezeptoren im zentralen Nervensystem gemessen. Steigt der Wert an, greifen Regulationsmechanismen des Körpers ein und stimulieren die Atmung um das überschüssige CO2 abzuatmen.

Des Weiteren kommt es zu einer Hyperventilation mit gesteigerter Atemtiefe, wenn die H+-Anzahl steigt. Die Atemfrequenz bleibt jedoch unverändert bzw. steigt gegebenenfalls. Durch den Anstieg H+-Anzahl wird das Blutsauer“ und der pH-Wert sinkt unter seinen optimalen Wert von 7,4. Die vermehrte Abatmung von C02 geht mit der Abnahme der Protonenzahl einher, sodass der pH-Wert wieder ansteigt.

Letzter Regulationsmechanismus ist der über periphere Chemorezeptoren, welche den pO2 im Blut der Aorta und dem Glomus caroticum messen. Der Zustand eines erniedrigten arterieller pO2 wird als Hypoxie (hypo= zu wenig, oxys =steht für Sauerstoff) bezeichnet und stimuliert den Atemantrieb.

Psychogene Hyperventilation

Eine Hyperventilation beschreibt wie schon oben definiert den Zustand einer beschleunigten und vertieften Atmung über den normalen Bedarf hinaus. Die psychogen ausgelöste Variante ist völlig losgelöst von den Regulationsmechanismen des Körpers.

Durch die gesteigerte Atmung wird sehr viel CO2 abgeatmet und somit müsste es eigentlich zu einer reflexbedingten Abnahme der Atmung kommen. Diese Regulationsschleife greift bei der psychogenen Hyperventilation jedoch nicht, sodass Betroffene sich immer weiter in den Zustand einer vertieften und beschleunigten Atmung mit dem Gefühl der Atemnot hereinsteigern. Die Folge der psychogenen Hyperventilation ist das Absinken des arteriellen und alveolären pCO2. Daraus entwickelt sich eine respiratorische Alkalose, also ein atemabhängiger basischer Zustand des Blutes in Form eines pH-Wert-Anstiegs, da das CO2 durch Abatmung den pH-Wert nicht mehr senken kann. Man kann also sagen, dass es sich bei der psychogen bedingten Hyperventilation um eine inadäquate Reaktion, losgelöst von den normalen pathophysiologischen Mechanismen des Körpers handelt.

Ursachen

Auslöser einer psychogenen Hyperventilation sind vielfältig und individuell. Häufig steht die beschleunigte Atmung im Zusammenhang mit psychisch belastenden Situationen. Angst, Depressionen, Aggressionen, Schmerzreize und Stress können ebenfalls Ursache einer psychogenen Hyperventilation sein. Oft ist betroffenen Personen nicht bewusst, dass sie sich durch ihre Gemütssituation dabei sind, eine Hyperventilationsauslösung zu provozieren. Daher geschieht dies auch oft unbewusst. Frauen sind nach aktuellen Studien häufiger betroffen als Männer. Außerdem steigt das Risiko für eine psychogene Hyperventilation im zweiten bis dritten Lebensjahrzent an.

Symptome

Die Symptome der psychogenen Hyperventilation werden oft unter dem Synonym „Hyperventilations-Syndrom“ beschrieben. Trotz der gesteigerten Atmung haben die Patienten das Gefühl der Luftnot, sodass sie oft panisch werden und sich noch mehr in die beschleunigte aber auch ineffektive Atmung hineinsteigern. Die häufigsten Symptome, von denen Betroffene berichten, sind Kaltschweißigkeit, Zittern, Panik, Schwindel, Kopfweh, gesteigerte Reflexe, Brustschmerz, Herzklopfen und Tachykardie. Meist treten die Symptome akut auf und verschwinden wieder so schnell wie sie gekommen sind. Ist dies jedoch nicht der Fall, kann es weitreichendere Auswirkungen haben.

Bedingt durch die sich ausbildende respiratorische Alkalose kann es zu Parästhesien. Damit sind unangenehme Empfindungen bestimmter Hautbereiche gemeint, die in der Regel schmerzlos sind und oft als „Kribbelgefühl“ und „Ameisenlaufen“ beschrieben werden. Diese Parästhesien kommen wie folgt zu Stande: die respiratorische Alkalose im Blut bewirkt, dass manche Proteine ihre Protonen abgeben und somit dann negativ geladen sind. Nun sind sie in der Lage das zweifach positiv geladen Calcium, welches im Blut zirkuliert abzufangen, sodass ein relativer Calciummangel entsteht. Relativ deshalb, weil prinzipiell nach wie vor genug bzw. die gleiche Menge an Calcium vorhanden ist, nur eben dem Körper nicht zur Verfügung steht. Der Calciummangel induziert eine Tetanie (Muskelkrämpfe). Im Extremfall kann es an den Händen zu einer krampfhaften Pfötchenstellung kommen.

Neben der Hyperventilationstetanie aufgrund der respiratorischen Alkalose wirkt sich der niedrige pCO2 besonders auf die Gefäße im Gehirn aus. Ein hoher CO2 Wert, der gleichzeitig einen niedrigen O2 Wert impliziert, führt zu einer Gefäßdilatation, damit das Gehirn bestmöglich mit viel Blut trotz geringem Sauerstoffgehalt versorgt werden kann. Andersherum, also im Falle einer psychogen bedingten Hyperventilation und einem damit einhergehenden niedrigen pCO2 kommt es allerdings zu einer Gefäßverengung, sodass Betroffenen durch die Minderperfusion des Gehirns an Kopfweh, Schwindel und Sehstörung leiden.

Typisch ist für die Betroffenen also ein nervöses Verhalten mit funktionellen Beschwerden wie Muskelkrämpfen und Sehstörungen, aber auch Magen-Darm-Probleme und Schlafstörungen.

Schlimmstenfalls kann es durch eine psychogene Hyperventilationsattacke zur Bewusstlosigkeit kommen.

Diagnostik

Hier spielen die klinischen Anzeichen eine entscheidende Rolle. Außerdem wird zur Unterstützung der Verdachtsdiagnose Hyperventilation eine Blutgasanalyse durchgeführt. Hierbei erwartet man erniedrigte Bikarbonat– und CO2-Werte mit meist erhöhtem pH– und O2-Werten. Im Grunde ist die explizite Diagnosestellung der psychogenen Hyperventilationsform eine Ausschlussdiagnose. Daher müssen Probleme mit dem Herzen (Herz-Rhythmus-Störungen oder Herz-Kreislauf-Störungen) und der Lunge (Asthma) ausgeschlossen werden. Der Auskultationsbefund der Lunge sollte in der Regel bei der psychogenen Hyperventilation normal sein.

Therapie

An erste Stelle steht immer der Versuch, den Patienten zu beruhigen. Durch bewusstes Ein– und Ausatmen kann oft die anfallsartige Hyperventilation bereits unter Kontrolle gebracht werden, sodass sich der pCO2 schnell wieder normalisiert und die Symptome schnell abklingen.

Eine psychogene Hyperventilation ist gut mit der sogenannten „Beutel-Rückatmung“ unter Kontrolle zu bringen. Hierbei sollte der Patient sich eine Plastiktüte vor/über den Mund halten und versuchen langsam und ruhig in sie hinein zu atmen. So wird der abgeatmete CO2 Gehalt unmittelbar wieder eingeatmet und mit der Zeit wird der anfängliche pCO2 Abfall wieder gegenreguliert, was die respiratorische Alkalose ausgleicht. Wichtig ist, dass die Beutel-Rückatmung nur angewendet wird, wenn man sich sicher ist, dass eine psychogen bedingte Hyperventilation vorliegt. Wäre das nämlich nicht der Fall und der Patient atmet aufgrund von einem starken O2 Mangel zu viel, würde die dieses Maßnahme die Situation nur verschlimmern.

Patienten, die an einer bekannten psychogenen Form der Hyperventilation leiden, wird zu einer Selbstschulung geraten. Dadurch lernen sie, mit der Situation besser umzugehen, und nicht in Panik auszubrechen, sondern zum Beispiel die Beutel-Rückatmung anzuwenden. Außerdem hilft es oft, bewusst die Zwerchfellatmung einzusetzen und die Hände auf den Bauch zu legen, um die Atmenbewegung aktiv mitzuführen. Des Weitern ist es sinnvoll, regelmäßig entspannende Übungen und autogenes Training durchzuführen, um den Ursachen entgegenzuwirken. Je sicherer sich ein Patient im Umgang mit der Situation einer psychogenen Hyperventilation fühlt, desto weniger schlimm äußern sich die Symptome und desto besser ist eine solche Attacke in den Griff zu bekommen.

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Falls die genannten therapeutischen Maßnahmen nicht weiterhelfen sollte eine psychosomatische Behandlung in Betracht gezogen werden.

Steigert sich ein Patient bis in eine Hyperventilationstetanie hinein, muss zusätzlich zur Beutel-Rückatmungs-Maßnahme Diazepam, ein muskelrelaxierendes Medikament, verabreicht werden.

Weitere Informationen

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Autor: Dr. Nicolas Gumpert Veröffentlicht: 05.05.2015 - Letzte Änderung: 22.10.2021