Postoperative Depression

Allgemeines

Größere Operationen werden von nahezu allen Menschen als sehr belastend empfunden. Häufig stehen die körperlichen Beschwerden so im Vordergrund des Geschehens, dass die Psyche der Betroffenen leicht in Vergessenheit geraten kann. Leider werden in vielen Krankenhäusern psychische Gesundheit und Operationsbewältigung außer Acht gelassen. Dabei können derartige Beeinträchtigungen den Genesungsfortschritt stark beeinflussen.

Man spricht in diesem Zusammenhang oft von postoperativen Depressionen. In der Psychologie bzw. Psychiatrie im deutschsprachigen Raum hat sich der Begriff bis heute noch nicht etablieren können. In den USA hingegen forscht man bereits seit längerer Zeit an den genauen Ursachen der Depressionen nach Operationen.

Definition

Streng genommen existiert der eigentliche Begriff der postoperativen Depression in Fachkreisen noch nicht. Allerdings ist das Phänomen hinreichend bekannt! Letztendlich ist eine postoperative Depression eine Reaktion auf eine schwere Belastung im Leben eines Menschen. Man spricht daher auch allgemeiner von einer Anpassungsstörung, veraltet auch reaktive Depression genannt.
Im Gegensatz zu beispielsweise manischen Depressionen kann ein konkreter Zusammenhang zwischen einem Ereignis (Operation) und den Beschwerden hergestellt werden.
Im Umkehrschluss ist also davon ausgehen, dass ohne Operation keine Depression beim jeweiligen Patienten entstehen würde.

Symptome

Zentrale Symptome können gedrückte Stimmung, Freudlosigkeit, Antriebsminderung oder Interessenverlust sein. Betroffene sind sehr oft nicht in der Lage, ihre Gefühlssituation in Worte zu fassen. Sie berichten von einer eigenartigen „Leere“ und Gefühllosigkeit. Die herabgesetzten Interessen betreffen meistens alle Bereiche des Lebens, seien es private, berufliche oder das tagespolitische Geschehen. So kann zum Beispiel auch die persönliche Körperpflege stark vernachlässigt werden.
Patienten haben zudem häufig einen „Grübelzwang“, das heißt ihre Gedanken kreisen ununterbrochen um das gleiche Thema, ohne eine Lösung zu finden. Angehörige berichten, dass sich ihre betroffenen Verwandten immer mehr zurück ziehen. Krankenhausbesuche werden kaum wahrgenommen und Gespräche gestalten sich zunehmend schwierig.

Typischerweise steigt das Schlafbedürfnis enorm. Manche Patienten verschlafen im Prinzip den gesamten Tag! Häufig verändern sich die Essgewohnheiten, so dass entweder gar kein Appetit mehr vorhanden ist oder permanent gegessen wird.
Eigentlich simple Entscheidungen wie beispielsweise die Wahl des Frühstückes können nicht mehr getroffen werden und münden in einer großen Gleichgültigkeit.

Postoperative Depression oder einfach nur erschöpft?

Viele Betroffene und Angehörige sind unsicher, wenn es um die Unterscheidung zwischen einer postoperativen Depression und einer „Verstimmung“ oder „Erschöpfung“ geht. Denn beim Gedanken an Operationen oder Krankenhäuser empfinden viele Personen automatisch Unwohlsein. Wenn beschriebene Symptome auftreten machen viele Betroffene die Operation und resultierende körperliche Beschwerden verantwortlich. So wird der Appetitverlust mit Nebenwirkungen der Medikamente erklärt, die Müdigkeit mit den Nachwehen der Narkosemittel oder die Antriebslosigkeit mit Schmerzen im Operationsgebiet.

Bis zu einem gewissen Grad treffen die Beschreibungen häufig zu. Große Operationen sind eine enorme, körperliche Herausforderung!
Übersteigen sie jedoch ein gewisses Maß beziehungsweise eine Verhältnismäßigkeit, kann eine postoperative Depression als Diagnose in Betracht gezogen werden. Natürlich ist auch der zeitliche Rahmen entscheidend. Wenn die Symptome direkt nach der Operation auftreten und innerhalb eines Monats abklingen, besteht kein Grund zur Sorge. Dauern die Beschwerden jedoch länger, vielleicht sogar Jahre, kann es sich um eine postoperative Depression handeln.

Vorbeugung

Um das Auftreten bereits im Entstehen zu verhindern, können Patienten vor der Operation einige unterstützende Maßnahmen ergreifen.
Zentraler Punkt ist bei vielen Betroffenen das Gefühl der Angst. Die Ungewissheit und fehlende Vorstellungen über die Zeit nach der Operation verursachen große Unsicherheiten. Daher empfiehlt es sich unbedingt, ausführliche Gespräche mit den behandelnden Ärzten und Chirurgen zu führen. Stellen Sie alle Fragen die Ihnen über die postoperative Zeit auf dem Herzen liegen! Aus Scham und Angst, trauen sich viele Patienten schlicht und einfach nicht. Manchmal kann es helfen, von einem Freund oder Angehörigen bei den Aufklärungsgesprächen begleitet zu werden. Zusätzlich ist es ratsam, wichtige Fragen zu notieren, da in der Aufregung schnell Aspekte vergessen werden können.

Im Idealfall, können Sie sich abschließend ein recht genaues Bild von der Zeit nach der OP machen und laufen nicht Gefahr, durch überhöhte Erwartungen zurückgeworfen zu werden. Sprechen Sie die Befürchtung, an einer postoperativen Depression zu erkranken, offen an! So sensibilisieren Sie Ihr Umfeld bereits und laufen nicht Gefahr übersehen zu werden.
Freundschaftliche oder verwandtschaftliche Beziehungen sind für die Zeit nach der Operation ungeheuer wichtig. Es kann helfen, bereits vor der OP feste Besuchsrituale zu planen und Struktur zu schaffen. In allen Krankenhäusern gibt es zudem seelsorgerisches Personal, welches ungefragt Gespräche anbietet.

Bei welchen Eingriffen ist eine postoperative Depression besonders häufig?

Da bei den Auslösern einer postoperativen Depression gerade die Narkosemittel eine große Bedeutung haben, besteht grundsätzlich bei den Eingriffen, die in einer Vollnarkose durchgeführt werden, ein höheres Risiko als bei Operationen, die nur eine regionale oder örtliche Betäubung erfordern. Zudem ist das Risiko bei größeren und länger andauernden Eingriffen größer als bei kleinen Operationen. Spezielle Eingriffe, die ein generell höheres Risiko für eine postoperative Depression aufweisen, konnten jedoch nicht sicher nachgewiesen werden.

Therapie

Eine postoperative Depression kann unterschiedlich behandelt werden und die Therapie wird dem Schweregrad der Symptome angepasst. Zunächst empfiehlt es sich, ein offenes Gespräch mit dem Arzt zu suchen. Oftmals bemerken Angehörige die Veränderungen zuerst und wenden sich an das Fachpersonal. Manchmal genügen ausführliche Gespräche mit dem behandelnden Arzt, es kann aber auch ein Psychotherapeut/Psychologe hinzugezogen werden.

Häufig werden Betroffene bereits entlastet wenn die Probleme zur Sprache kommen. Es kann helfen, den Zusammenhang zwischen Operation im Sinne eines lebensverändernden Ereignisses und der aktuellen psychischen Verfassung herzustellen. Erinnerungen an frühere erfolgreich bewältigte Lebenskrisen können dem Patienten zudem neue Kraft geben. Bei der medikamentösen Behandlung kommen in erster Linie Antidepressiva zum Einsatz.

Wie lange dauert eine postoperative Depression?

Über die Dauer einer postoperativen Depression lässt sich keine allgemeine Aussage treffen. Bei manchen Patienten kommt es nur zu einer kurzzeitigen Episode der depressiven Verstimmung nach dem Eingriff. Oft dauert diese nur einige Tage bis wenige Wochen an. In manchen Fällen tritt nach einer Operation allerdings auch eine Depression auf, die über lange Zeit bestehen bleibt und eine Behandlung durch Psychotherapie und gegebenenfalls Medikamente erforderlich macht. Dabei ist es zum einen möglich, dass eine erstmalige depressive Episode durch den Eingriff ausgelöst wird. Zum anderen kann es bei Menschen, die schon einmal an einer Depression gelitten haben, zu einem Wiederauftreten der Beschwerden durch die Operation kommen. Erschwert wird die Frage nach der Dauer einer postoperativen Depression dadurch, dass auf diesem Gebiet noch viele Zusammenhänge ungeklärt sind und weiter Forschungsbedarf besteht. In jedem Fall ist es zu empfehlen, sich bei einer länger bestehenden postoperativen Depression (zum Beispiel mehr als zwei Wochen) Hilfe zu holen. Ansprechpartner können beispielsweise der Hausarzt, ein Psychologe oder eine Beratungsstelle sein.

Fazit

Postoperative Depressionen sind ein ernst zunehmendes Krankheitsbild. In unserer Gesellschaft werden psychische Beschwerden leider häufig hinter das körperliche Wohl gestellt. Aus Scham und Angst vor Stigmatisierung („in Schubladen gesteckt zu werden“) leugnen viele Betroffene ihr Leiden und begeben sich dadurch in einen Teufelskreis. Daher ist es ungeheuer wichtig, zwischen einer postoperativen Depression und normaler Abgeschlagenheit zu unterscheiden. Denn nur wenn rechtzeitige Therapiemaßnahmen ergriffen werden besteht Aussicht auf Besserung!

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Autor: Dr. Nicolas Gumpert Veröffentlicht: 25.11.2014 - Letzte Änderung: 22.10.2021