Auswirkungen von Rückenschmerzen auf die Psyche

Synonyme

Englisch: Low back pain

Lumbalgie, Lumbago, Kreuzschmerzen, Lumbalsyndrom, lumbales Wurzelreizsyndrom, Kompressionssyndrom, lumbales Bandscheibensyndrom, Ischiassyndrom, Ischialgie, Lumboischialgie, Ischias, Facettensyndrom, Wirbelgelenkschmerz, myofasziales Syndrom, Tendomyose, spondylogenes Reflexsyndrom, Zervikobrachialsyndrom

Definition

Chronische Rückenschmerzen sind ein dauerhaftes und zunehmendes Problem unserer Gesellschaft. Man kann sogar mittlerweile von einer „Volkskrankheit“ sprechen, da chronische Rückenschmerzen zu sehr häufigen Arztbesuchen, Fehlzeiten am Arbeitsplatz sowie letztendlich auch immensen Kosten führt.

Die Gründe für chronische Rückenschmerzen können vielfältig sein. Oft sind organische Ursachen zu finden, welche meist für akute und häufig auch für chronische Rückenschmerzen verantwortlich zu machen sind.

Doch was ist mit den vielen Patienten, bei denen kein Befund erhoben werden kann, der die Intensität und die Dauer des wahrgenommenen Schmerzes erklären könnte?

Die Medizin geht heute davon aus, dass bei einem Grossteil der Schmerzpatienten die Psyche eine entscheidende Rolle spielt. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass Schmerzpatienten per se psychisch krank sind, sich Schmerzen einbilden oder Simulanten sind. Das Schmerzverständnis von heute sollte Körper und Psyche miteinander vereinen.

Einleitung

Einteilung der Ursachen der chronischen Rückenschmerzen laut WHO:

  1. körperliche Entstehungsursachen – „Impairment“
  2. subjektive Beeinträchtigung – „Disability“
  3. soziale Ebene – „Handicap“
  1. körperliche Entstehungsursachen – „Impairment“

    Die körperlichen Ursachen für die Entstehung von chronischen Rückenschmerzen können außerordentlich vielfältig sein. Schädigungen der Wirbelsäule, ihrer Gelenke und Bänder sowie Entzündungsprozesse sind genauso denkbar wie etwa Tumorerkrankungen oder Schädigungen anderer Organe, die in den Rücken „strahlen“. Einen Großteil dieser Ursachen kann man heutzutage mit diagnostischen Methoden erkennen bzw. ausschließen. Was man jedoch nicht kann, ist, vom erhobenen Befund einen direkten Rückschluss auf die Schmerzwahrnehmung zu ziehen.

  2. subjektive Beeinträchtigung – „Disability“

    Zentraler Punkt hierbei ist die Frage: „Was bewirkt der Schmerz beim Patienten und wie geht der Patient damit um?“. Jeder Mensch kennt Schmerzen und jeder Mensch weiß, dass Schmerzen unser Verhalten beeinflussen können. Da Schmerzpatienten sich dauerhaft mit diesem Mechanismus von Ursache und Wirkung auseinandersetzen müssen, kann sich das Verhalten und im weiteren auch die ganze Lebensführung verändern. Schmerzpatienten laufen ggf. Gefahr in einen „Teufelskreis“ hineinzugeraten, der aus eben diesem Mechanismus entsteht.

    Beispiel:
    Schmerz im Rücken führt zu Schonung. Schonung kann zu einem „ängstlichen“ Verhalten führen, da Schonung und Vorsicht Schmerzfreiheit verspricht. Ängstlichkeit wiederum führt oft zu Rückzügigkeit. Rückzügigkeit führt zu Vereinsamung und Traurigkeit und am Ende möglicherweise zu einer Depression. Depressionen ihrerseits verstärken Schmerz.

    Dieser Mechanismus greift natürlich nicht bei jedem Menschen. Man hat Herausgefunden, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale entscheidend für die Entstehung eines solchen Teufelskreises sind.

  3. Die soziale Ebene – „Handicap“

    Das sog. „soziale Umfeld“, welches uns umgibt, setzt sich zusammen aus den Menschen, aber auch den Institutionen, mit denen wir täglich zu tun haben und die unser Leben prägen. Nun hat das soziale Umfeld hierzulande so seine Eigenarten mit bestimmten Gruppen, wie z.B. Kranken umzugehen. Der Umgang mit Kranken ist hierbei keinesfalls immer gleich.

    Ein Mensch, der beim Skifahren einen Beinbruch erleidet, wird anders betrachtet als jemand, der beispielsweise an einer Schizophrenie leidet. Dieser Umgang nun hat auch einen deutlichen Einfluss auf den Krankheitsverlauf. (Z.B. wird ein depressiver Patient deutlich mehr leiden, wenn er wegen seiner Krankheit ausgegrenzt wird.).

    Genauso gibt es auch gegenüber Patienten mit chronischen Rückenschmerzen Faktoren, von denen man glauben muss, dass sie schmerzverstärkend und somit „chronifizierend“ wirken. Z.B. sorgen Kränkungen des Patienten seitens seiner Umgebung, etwa durch den Vorwurf er sei ein Simulant, zu einer Verschlechterung der Symptomatik.

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Differentialdiagnosen

Als wichtige Störungen sind hierbei vor allem zu erwähnen:

Bei allen diesen Diagnosen ist vermehrtes Schmerzerleben (auch im Rücken) denkbar.

Komorbidität

Die Diagnose von chronischen Rückenschmerzen geht therapeutischerseits häufig mit anderen psychosomatischen Störungen einher. Die häufigste zusätzlich auftretende Störung ist die der Depression. Am zweithäufigsten finden sich Panikstörung / Panikattacke bzw. Agoraphobie. Erst im Anschluss daran sind die somatoformen Störungen zu nennen.

Bei einer Vielzahl von Schmerzpatienten entwickelt sich im Verlauf ein Schmerzmittelmissbrauch.

Diagnostik

Schmerz ist etwas sehr subjektives. Trotzdem ist es möglich Schmerz etwas fassbarer zu machen, in dem man vor und während einer möglichen Therapie verschiedene diagnostische Instrumente einsetzt.

  1. Schmerztagebuch:

    Über einen definierten Zeitraum (z.B. eine Woche), werden alle für den Therapeuten wichtigen Informationen seitens des Patienten festgehalten.
    Z.B. Häufigkeit, Stärke und Dauer des Schmerzes, Häufigkeit von Medikamenteneinnahmen, Aktivitäten vor dem Schmerz etc.

  2. Schmerzempfindungsskala (SES)

    Die Schmerzempfindungsskala bemüht sich die psychischen Veränderungen im Patienten zu erfassen, die durch den Schmerz hervorgerufen werden. Es ist auch während einer Therapie ein gutes Instrument, um evtl. Fortschritte zu erfassen.

  3. Tübinger Bogen zur Erfassung von Schmerzverhalten (TBS):
    Dies ist ein Fragebogen, bei dem Angehörige des Schmerzpatienten befragt werden, wie sie den Patienten und seinen Umgang mit dem Schmerz erleben.
  4. Funktionsfragebogen Hannover (FFbH-R):
    Dieser Fragebogen erfasst primär die Lebenseinschränkungen, die der Patient durch den Schmerz erleidet.

Therapie

Therapie von chronischen Rückenschmerzen:

Heutzutage erfolgt die Therapie von chronischen Rückenschmerzen typischerweise in mehreren Stufen.

  1. Stufe: Vermittlung des Modells der Krankheitsentwicklung aus psychologischer Sicht
    Das Verständnis von dem Zusammenwirken von Körper und Seele in der Entstehung, Verarbeitung und Aufrechterhaltung ist die Grundlage einer erfolgreichen Therapie. Hier ist es die wichtigste Aufgabe des Therapeuten dieses Modell angemessen zu erklären und zu vermitteln.
  2. Stufe: Progressive Muskelentspannung
    Schmerzen sorgen für Verspannungen. Aus diesem Grunde ist das Erlernen und das Durchführen von Entspannungsübungen ein wichtiger Schritt in der Therapie. Als besonders hilfreich, da leicht erlernbar, hat sich die <link html progressive_muskelentspannung.html>progressive Muskelentspannung erwiese.
  3. Stufe: Protokoll führen
    Ein weiterer wichtiger Schritt liegt in der Protokollierung von Ereignissen, Situationen und Gedanken, die unmittelbar mit dem Schmerz zu tun haben. Ziel hierbei ist zum einen typische schmerzauslösende oder schmerzverstärkende Situationen zu identifizieren und zum anderen den Schmerz als Problem fassbarer zu machen, welches mal besser und mal schlechter ist.
  4. Stufe: Erkennen und bearbeiten typischer Gedanken
    In der 4. Stufe werden die typischen Gedanken, die mit dem Schmerz assoziiert sind bearbeitet. Z.B. werden Gedanken, die die eigene Hilflosigkeit ausdrücken und dabei möglicherweise über das normale Maß hinaus negativ sind, betrachtet ( „Ich kann keines meiner Hobbys mehr ausüben und Schuld ist nur der Schmerz!) und bearbeitet. Die Technik, die hier zum Einsatz kommt nennt sich „kognitive Umstrukturierung“.
  5. Stufe Ablenken und Genießen
    Schmerz und Genuss sind in der Regel zwei Dinge, die nur bei wenigen Menschen gut miteinander zu vereinbaren sind. Eine Stufe der Therapie beschäftigt sich somit mit dem „Training von Genusserleben“. Ziel hierbei kann zum einen tatsächlich Ablenkung vom Schmerz sein, zum anderen aber auch die Erkenntnis, dass es einem Patienten trotz Schmerzen möglich ist, positive Erfahrungen zu machen und diese auch bewusst herbei zu führen.
  6. Stufe: Erkennen von Ursachen, die den Schmerz verstärken oder aufrechterhalten
    Primär geht hier um das Erkennen von Konflikten im Leben des Patienten. Voraussetzung hierfür ist eine gute Beziehung zwischen Therapeut und Patient. Es geht nicht darum den einen Sündenbock zu suchen, der an allem Schuld ist. Vielmehr geht das heutige Schmerzverständnis davon aus, dass Konflikte ein Teil des Problems sind und somit ihre Bearbeitung Teil der Heilung sein kann.
  7. Stufe: Die Suche nach Wegen aus dem Schmerz
    In dieser Stufe geht es um konkrete Möglichkeiten für den Patienten, sich mit Erkenntnissen aus der Therapie auseinander zu setzen. Nunmehr „sichtbare“ Konflikte können konkret bearbeitet werden. Zu einer solchen Bearbeitung hat sich z.B. das sog. „Training der sozialen Kompetenz“ empfohlen.
  8. Stufe: Hypnose
    Hypnose kann in der Therapie des chronischen Rückenschmerzes vor allem zwei Dinge bewegen. Zum einen ist es ein Verfahren, dass bei richtiger Anwendung an sich schmerzlindernde Wirkung haben kann und zum anderen erlaubt es einen besseren Zugang zum „Unbewussten“.

Eine Kontaktliste mit zertifizierten Schmerztherapeuten finden sie im Anhang unseres Buches „Das unerkannte Leiden - Chronischer Rückenschmerz und Psychotherapie“.

Abbildung Rückenschmerzen

A - Nackenschmerzen
B - Schmerzen des oberen Rückens
C - Schmerzen im Bereich der LWS
Hexenschuss (Lumbago)
D - Lumboglutäalgie
(Ausstrahlen in das Gesäß)
E - Lumboischialgie
(Ausstrahlen in das Bein)

  1. Erster Halswirbel (Träger) -
    Atlas
  2. Siebenter Halswirbel -
    Vertebra prominens
  3. Trapezmuskel -
    Musculus trapezius
  4. Breiter Rückenmuskel -
    Musculus latissimus dorsi
  5. Erster Lendenwirbel -
    Vertebra lumbalis I
  6. Fünfter Lendenwirbel -
    Vertebra lumbalis V
  7. Kreuzbein - Os sacrum
  8. Steißbein - Os soccygis
  9. Darmbeinkamm -
    Crista iliaca
  10. Mittlerer Gesäßmuskel -
    Musculus gluteus medius
  11. Großer Gesäßmuskel -
    Musculus gluteus maximus
  12. Großer Anzieher -
    Musculus adductor magnus
  13. Zweiköpfiger Oberschenkelmuskel -
    Musculus biceps femoris

    a - Bandscheibenvorfall -
    Nucleus-pulposus-Prolaps (von oben)
    b - Wirbelbruch
    (Wirbelfraktur)
    c - Wirbelsäulenarthrose -
    (Gelenkverschleiß)

Eine Übersicht aller Abbildungen von Dr-Gumpert finden Sie unter: medizinische Abbildungen

Autor: Christoph Barthel Veröffentlicht: 04.06.2007 - Letzte Änderung: 30.03.2024