Ursachen des Borderline Syndroms

Einleitung

Das Borderline Syndrom ist eine psychische Störung, die erstmals oft zwischen der Pubertät und dem jungen Erwachsenenalter auftritt.
Die am häufigsten und stärksten auftretenden Symptome sind eine gestörte Kontrollfunktion von Gefühlen, ein gestörtes Selbstbild, schwierige und oft instabile Beziehungen zu anderen Menschen und impulsives Verhalten sowie gehäuft Selbstverletzung ohne gehäufte Absicht zum Selbstmord.
Es sind häufiger Frauen als Männer betroffen. All dies kann in extremen Fällen zur Beeinträchtigung der sozialen und bildungs- bzw. arbeitsorientierten Funktionsfähigkeit führen. Schlussendlich ist die Selbstmordrate bei Borderline-Patienten im Gegensatz zu der Normalbevölkerung 50fach erhöht.

Ursachen in der Kindheit

Wie bei vielen psychiatrischen Erkrankungen ist die genaue Ursache des Borderline-Syndroms noch nicht wissenschaftlich eindeutig bewiesen.
Diskutiert wird ein Zusammenhang zwischen

  • Erbmaterial (Genetik)
  • Umweltfaktoren
    und
  • vom Durchschnitt

abweichende Gehirnstrukturen.
Das Erbmaterial kann in Verbindung mit Umwelteinflüssen die Affektregulation beeinflussen und Ursache für ein typisches Verhaltensmuster des Borderline-Syndrom darstellen.

Als Affektregulation wird die Fähigkeit von Menschen bezeichnet, unangenehme oder negative Emotionen, die mit bestimmten Ereignissen oder Erfahrungen oder durch die Auseinandersetzung mit diesen ausgelöst werden, zu kontrollieren und zu verarbeiten. Im besten Falle steht am Ende die Einverleibung der Emotion in das “Selbst”.

Es gibt zudem viele Stimmen in der Wissenschaft, die einen Beginn der Entwicklung im Temperament des frühen Kindesalters sehen. Da Persönlichkeitsmerkmale oft schon im Temperament des frühen Kindsalters angelegt sind und eine gewisse Stetigkeit in der Entwicklung besteht, erscheint es nicht weit hergeholt, dass Temperament als Faktor in der Entwicklung von Symptomen der Persönlichkeitsstörungen in der Jugend eine wichtige Rolle spielt.
Sowohl das Temperament im Kindesalter als auch die sich entwickelnden individuellen Persönlichkeitsmerkmale scheinen Ausdruck derselben grundlegenden Anlagen zu sein.
Das kindliche Temperament zeigt frühe individuelle Unterschiede in unter anderem emotionaler Reaktion auf gewisse Ereignisse und Selbstkontrolle von Verhaltensweisen und Reaktionen auf, die für die Entwicklung des Borderline-Syndroms wichtig sein können. Beide angesprochenen Punkte sind bei Borderline-Patienten oft unangebracht und auffällig – während die Fähigkeit zur Selbstkontrolle herabgesetzt ist sind emotionale Reaktionen oft unpassend und überschießend.
Das kindliche Temperament kann weiterhin an den Faktoren Emotionalität (das Zeigen und Empfinden von Gefühlen), Aktivität, Geselligkeit und Schüchternheit gemessen werden. Emotionalität bezieht sich darauf, wie einfach es für ein Kind ist negative Emotionen zu durchleben und aufzuzeigen.

Ursache Neurose

Es besteht eine Verbindung zu dem Persönlichkeitsmerkmal der Neurotizismus, also einer langanhaltendem negativen Grundstimmung und pessimistisch geprägtem Weltbild. Aktivität umfasst Kinder mit einem hohen Energielevel, die viel Aufmerksamkeit einfordern und einen schnellen Lebensstil bevorzugen, was sich in extremen Fällen zu Persönlichkeiten mit geringer oder nicht vorhandener Hemmschwelle entwickeln kann. Geselligkeit besteht aus dem Wunsch nach sozialem Miteinander und Anerkennung.
Kinder mit einem hohen Anteil dieses Faktors sind oft offen, lebensfroh und nach außen gerichtet. Im Gegensatz dazu sind Kindern, die über einen hohen Grad an Schüchternheit verfügen, an sozialen Beziehungen zwar interessiert, finden aber Situation des sozialen Miteinanders häufig anstrengend und fühlen sich im Umgang mit anderen unwohl und gehemmt.
Dies kann ebenfalls zu der Entwicklung eines neurotischen Persönlichkeitsmerkmals beitragen. Verschiedene Studien belegen eine Verbindung zwischen im Kindesalter auftretenden Persönlichkeitsmerkmalen und Temperamentsausprägungen und später auftretenden Symptomen von Borderline, allerdings gibt es dazu keine abschließende und schlüssige Beweislage. Vielmehr treten verschiedene Ungereimtheiten auf, die allerdings auch an der nicht einheitlichen Verfahrens- und Auswertungstechnik der Studien liegen kann. Nichtsdestotrotz können die oben angesprochenen Faktoren die Entwicklung und Verlauf der Borderline Symptomatik im Jugendalter voraussagen. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass das Borderline-Syndrom sich anhand von angelegten Persönlichkeitsstrukturen und in der Kindheit erlebten traumatischen Ereignissen oder einem Zusammenspiel von beidem entwickelt.
Trauma scheinen die schlüssigste Ursache des Borderline-Syndroms zu sein.
Traumatische Erlebnisse können einen derart starken Einfluss auf die Psyche haben, dass es leicht vorstellbar ist, dass den betroffenen Personen diese Ereignisse noch lange nachwirken und sie beeinflussen. Derartige Traumata können extreme Angst oder Hilflosigkeit gewesen sein, wie sie z.B. für Missbrauchserfahrungen oder lebensbedrohliche Situationen typisch sind. Hinzu kommt die Unfähigkeit diese zu verarbeiten.

Ursache Gewalt

Demzufolge gibt es verschiedene Ereignisse und Umwelteinflüsse in der Kindheit die als Risikofaktoren gelten und die die Entwicklung eines Borderline-Syndroms begünstigen können.
Ein wichtiger Faktor erscheint das korrekte Erlernen von Affektkontrolle zu sein. Kinder, denen es während der Kindheit verboten ist, Gefühle auszuleben oder die im Gegensatz dazu lernen, jedem kleinen Gefühlsumschwung nachzugeben, sind anfälliger für die impulsive Symptomatik des Borderline-Syndroms. Lernen die Kinder im Gegenteil angemessene Bewältigungsstrategien hilft ihnen dies in ihrem weiteren Leben nicht nur enorm weiter, sondern kann auch vorbeugend im Hinblick auf das Borderline-Syndrom und andere psychische Störungen wirken.
Auch emotionaler oder körperlicher Stress wirkt sich teilweise negativ auf die Entwicklung einer gesunden Affektkontrolle aus, wenn das Kind keine passenden Bewältigungsstrategien lernt. Einschneidende Lebensereignisse wie z.B. die Scheidung der Eltern oder der Verlust eines nahen Angehörigen können Kinder oft überfordern.
Hilft die Familie dem Kind nicht bei der Verarbeitung dieser Erlebnisse können sich Traumata entwickeln, die die gesunde Entwicklung des Kindes behindern können.
Fehlende Unterstützung durch die Familie und eine emotionale Kälte und Distanz zu Eltern oder ähnlich wichtigen Bezugspersonen, können die Ausbildung des Selbstwertgefühls negativ beeinflussen und die Ausbildung eines Borderline-Syndroms begünstigen.
Sprachlicher Missbrauch wie das ständige Heruntermachen des Kindes oder Beschimpfungen können das Selbstbewusstsein der betroffenen Person ebenfalls aushöhlen. Auch Einschränkungen z.B. durch die Erkrankung eines oder beider Elternteile können bei fehlender Unterstützung in dem Kind das Gefühl verursachen, nicht ernst genommen zu werden und ständig zurückstecken zu müssen.
Dies wirkt sich negativ auf das eigene Empfinden von Wünschen und Bedürfnissen aus und auf die Art und Weise, wie diese geäußert werden. Die daraus entstehenden Schwierigkeiten bei der Umsetzung gesellschaftlicher Verhaltensweisen, wie man sich z.B. im Gespräch mit anderen Leuten angemessen verhält, kann die Entwicklung einer Persönlichkeitsstörung wie dem Borderline-Syndrom die Bahn eben.
Wenn jemand anfällig für Stimmungsschwankungen ist, kann dies ebenfalls die Entwicklung eines Borderline-Syndroms begünstigen, wenn die betroffene Person nicht lernt damit umzugehen.

Ursache psychische oder / und körperlicher Gewalt

Ein weiterer wichtiger Risikofaktor ist das Erleben von psychischer oder/und körperlicher Gewalt. Dies kann auch nur das Erleben von häuslicher Gewalt gewesen sein, das sich nicht an die betroffene Person direkt gewandt hat, sondern z.B. Gewalt zwischen den Eltern blieb.
In diesem Zusammenhang besonders zu erwähnen sind zudem Missbrauchserfahrungen. Sowohl körperlicher als auch psychischer Missbrauch kann die Ausbildung eines Borderline-Syndroms verursachen oder die Entwicklung begünstigen.
Körperlicher Missbrauch wurde bei bis zu 70% der Patienten mit Borderline-Syndrom nachgewiesen. Auch können andere Persönlichkeitsstörungen zusätzlich zu einem Borderline-Syndrom auftreten oder dessen Entwicklung begünstigen. Als Persönlichkeitsstörungen bezeichnet man tief verwurzelte und anhaltende Verhaltensweisen, die sich als immer wiederkehrende, unveränderbare Reaktion auf wechselnde persönliche und soziale Situationen und Lebensereignisse zeigen.
Die Grenze zu normalen Persönlichkeitseigenschaften ist oft fließend und lässt sich am ehesten an der Unangebrachbarkeit des Erlebens- und Verhaltensmusters festmachen. Insbesondere vermeidende, abhängige und zwanghafte Persönlichkeitsstörungen treten im Zusammenhang mit dem Borderline-Syndrom auf.

Autor: Dr. Nicolas Gumpert Veröffentlicht: 09.09.2015 - Letzte Änderung: 22.10.2021