Persönlichkeitsstörung

Synonyme

Paranoide Persönlichkeitsstörung, Schizoide Persönlichkeitsstörung, Dissoziale Persönlichkeitsstörung, Emotional instabile Persönlichkeitsstörung, Histrionische Persönlichkeitsstörung, Anankastische (zwanghafte) Persönlichkeitsstörung, Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung, Asthenische (abhängige) Persönlichkeitsstörung

Zusammenfassung

Der Begriff „Persönlichkeitsstörung“ umfasst ein weites Spektrum recht verschiedener Störungsbilder, die durch die besonders extreme Ausprägung gewisser Charakterzüge bzw. „Eigenheiten“ gekennzeichnet sind. Maß-geblich für die Einstufung als Störung ist hierbei nicht das Vorhandensein, sondern eben die besonders starke Ausprägung der Persönlichkeitszüge, die zeit- und situationsübergreifend häufig auch sehr stabil zum Tragen kommen. Inwiefern eine solche „Verschrobenheit“ einer Person behandlungsbedürftig ist, ist nicht immer leicht zu entscheiden, zumal die Toleranz unterschiedlicher Gesellschaften gegenüber der „Spleenigkeit“ ihrer Mitglieder durchaus unterschiedlich ist.

Einen Anhalt für die Behandlungsbedürftigkeit einer Persönlichkeitsstörung gibt z. B. eine tatsächliche oder empfundene Einschränkung der Betroffenen in Alltag, Beruf und Sozialleben.

Über die Häufigkeit von Persönlichkeitsstörungen in der Bevölkerung herrscht letztlich keine Klarheit, Schätzungen schwanken zwischen 6-23%.

Zur Therapie werden unterschiedliche psychotherapeutische Verfahren angewandt, welche im Einzelnen, hängt u. a. von der Art der vorliegenden Störung ab. Eine solche psychotherapeutische Behandlung kann viel Zeit in Anspruch nehmen, führt jedoch in vielen Fällen zu einem guten Rückgang der Symptome bzw. einer guten Eingliederung der Patienten in deren Alltag.

Exkurs - Persönlichkeit

Nähert man sich dem Krankheitsbild „Persönlichkeitsstörung“, ist es unumgänglich, sich zunächst eine Vorstellung vom Begriff „Persönlichkeit“ zu machen.

Eine gängige Definition sieht die Persönlichkeit als Summe individueller Eigenschaften, die eine Person einzigartig machen. Im Rahmen der Persönlichkeitspsychologie existieren verschiedene Modelle, die diesem Umstand Rechnung tragen und versuchen, verschiedene Aspekte von Persönlichkeit zu erfassen und zum Zwecke der Handhabbarkeit zu verallgemeinern. Beispielhaft sei an dieser Stelle das Konzept der „Big Five“ genannt, die dem Begriff der Persönlichkeit fünf Hauptdimensionen zuordnet, die gewissermaßen Skalen zwischen zwei Endpunkten darstellen. Im Rahmen von psychologischen Tests werden für Antworten auf standardisierte Fragen Punktwerte auf diesen Skalen vergeben, die in der Zusammenschau Rückschluss auf die Persönlichkeitsstruktur des Probanden geben. Die fünf Dimensionen sind hierbei:

  • Extroversion | „kontaktfreudig“ - „zurückhaltend“
  • Verträglichkeit | „friedfertig“ - „streitsüchtig“
  • Gewissenhaftigkeit | „gründlich“ - „nachlässig“
  • Neurotizismus (emotionale Stabilität) | „entspannt“ - „empfindlich“
  • Offenheit | „kreativ“ - „phantasielos“

Dimensionen von Persönlichkeit, angelehnt an das Konzept der „Big Five“

Definition Persönlichkeitsstörung

Persönlichkeitsstörungen sind übersteigerte Ausprägungen bestimmter, im Prinzip durchaus „natürlicher“, Charakterzüge. Das Ausmaß dieser Eigenschaften ist bei Persönlichkeitsstörungen dermaßen verstärkt, dass eine soziale Beeinträchtigung entsteht, und so fest in der Persönlichkeit verankert, dass eine willentliche Beeinflussung nur eingeschränkt möglich ist. Häufig treten diese starren Reaktionsmuster in konflikthaft empfundenen Situationen auf.

Verschiedene Arten von Persönlichkeitsstörung

In der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden innerhalb der Persönlichkeitsstörungen im engeren Sinne folgende Störungen hervorgehoben:

  • Paranoide Persönlichkeitsstörung: Misstrauische Grundhaltung, leichte Kränkbarkeit, Neigung, neutrale oder freundliche Handlungen anderer als gegen die eigene Person gerichtet zu interpretieren.
  • Schizoide Persönlichkeitsstörung: Emotionale Kühle, Kontakthemmung und distanziertes Verhalten, misstrauisch-ambivalente Gefühle gegenüber anderen, Neigung zu „Eigenbrötelei“ bis Isolation.
  • Dissoziale Persönlichkeitsstörung: Fehlendes Verständnis für soziale Regeln und Normen, Tendenz, wiederholt dagegen zu verstoßen. Egoismus, fehlendes Schuldbewusstsein, häufig Konflikte mit dem Gesetz und Unfähigkeit, daraus zu lernen.
  • Emotional instabile Persönlichkeitsstörung: Wird in einen impulsiven Typ und einen Borderline-Typ (siehe Borderline) unterschieden. Beim impulsiven Typ Schwierigkeiten der Selbstkontrolle, Kritikunfähigkeit, häufig gewalttätiges Verhalten.
  • Histrionische Persönlichkeitsstörung: Dringendes Bedürfnis, im Mittelpunkt zu stehen; „schauspielerndes“, dramatisches Verhalten. Neigung zu Lügen und Übertreibungen, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
  • Anankastische (zwanghafte) Persönlichkeitsstörung: Perfektionistische Aufgabenerfüllung, strikte Einhaltung von Regeln und Normen, Kontrolltendenzen und Pedanterie. Häufig auch Schwierigkeiten beim Ausdruck von Gefühlen, kühles, kontrolliertes Auftreten. Die übermäßige Gewissenhaftigkeit kann, je nach Situation, im Arbeitsleben durchaus positiv bewertet werden, sich jedoch auch lähmend auswirken (fehlende Effizienz). Siehe Zwangsstörung
  • Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung: Starke Empfindlichkeit gegenüber (realer oder vermuteter) Kritik, Angst vor Ablehnung, Minderwertigkeitsgefühle. Zur Erfüllung eines gesteigerten Sicherheitsbedürfnisses werden zum Teil deutliche Einschränkungen im Alltag in Kauf genommen (Vermeidungsverhalten). Siehe Angststörung
  • Asthenische (abhängige) Persönlichkeitsstörung: Gefühl der Hilflosigkeit und der Abhängigkeit von anderen Personen, Unfähigkeit, selbst Entscheidungen zu treffen. Neigung zu übermäßiger Nachgiebigkeit gegenüber anderen, um Zurückweisung zu vermeiden.

Zum „erweiterten Kreis“ der Persönlichkeitsstörung können weiterhin noch die narzisstische (gesteigertes Gefühl der eigenen Bedeutung, siehe auch Narzissmus), die schizotypische (Schwierigkeiten im sozialen Umgang, verschroben-eigentümliches Auftreten; siehe auch Schizophrenie) und die passiv-aggressive (Übermäßiges Unrechtsempfinden, passiver Widerstand gegen soziale Anforderungen) Persönlichkeitsstörung gezählt werden. Zuletzt ist in der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation die „kombinierte Persönlichkeitsstörung“ enthalten, die Merkmale verschiedener Persönlichkeitsstörungen vereint, ohne in der Gesamtschau der Symptome einer einzelnen Persönlichkeitsstörung zuzuordnen ist.

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Es fällt schon aus der obigen stichwortartigen Aufstellung auf, dass zwischen den einzelnen Persönlichkeitsstörungen Überschneidungsbereiche existieren. Gelegentlich werden Persönlichkeitsstörungen daher symptomorientiert übergeordneten Kategorien („Clustern“) zugeordnet:

  • Verschroben-eigentümliches Verhalten (Cluster A): Paranoide, Schizoide Persönlichkeitsstörung
  • Emotional-dramatisches Verhalten (Cluster B): Dissoziale, emotional instabile, histrionische Persönlichkeitsstörung
  • Ängstlich-vermeidendes Verhalten (Cluster C): Ängstliche, anankastische, passiv-aggressive, asthenische Persönlichkeitsstörung

Häufigkeit

Die Häufigkeit von Persönlichkeitsstörungen wird mit 6-23% angegeben, eine gewisse Dunkelziffer ist aufgrund der schwierigen Fassbarkeit nicht unwahrscheinlich. Zu den häufigsten Persönlichkeitsstörungen zählen die abhängige, die dissoziale, die histrionische und die Borderline-Persönlichkeitsstörung. Die Geschlechtsverteilung ist bei den einzelnen Arten der Persönlichkeitsstörungen unterschiedlich.

Ursache

Die Ursache für die Entstehung von Persönlichkeitsstörungen ist noch nicht vollständig geklärt. Es scheinen verschiedene Faktoren bedeutsam zu sein:

  • Zum einen wurde eine genetische Veranlagung für die Ausbildung von Persönlichkeitsstörungen anhand von z. B. Zwillingsstudien nachgewiesen.
  • Auch Auffälligkeiten in der frühkindlichen Entwicklung werden zur Erklärung herangezogen, da Persönlichkeitsstörungen unter gewissen Gesichtspunkten auch als fehlgeleitete (Konflikt-)Lernprozesse gedeutet werden können, die das störungstypische starre, unflexible Reaktionsmuster auf verschiedene Situationen bedingen.
  • Weiter scheinen auch minimale frühkindliche Hirnschäden oder Auffälligkeiten im Botenstoffhaushalt des Gehirns als Ursache der Störungen in Betracht zu kommen.

Symptome

Die Symptome sind unter den jeweiligen Störungen skizziert. Kennzeichnend für alle Persönlichkeitsstörungen ist, dass hier weniger das Vorliegen als vielmehr die Ausprägung und die fehlende Flexibilität bestimmter Charaktermerk-male auffällig ist.

Diagnostik

Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung setzt eine gewissenhafte psychiatrisch-psychotherapeutische Anamneseerhebung (Evaluation) voraus.

Diagnostische Kriterien für die Stellung der Diagnose einer Persönlichkeitsstörung sind in den gängigen Klassifikationskataloge der Weltgesundheitsorganisation und der American Psychiatric Association gegeben.

Therapie

Zur Therapie von Persönlichkeitsstörungen werden hauptsächlich psycho-therapeutische Verfahren angewandt, welche im Einzelnen, ist u. a. von der Art der Persönlichkeitsstörung abhängig. Zum Einsatz kommen z. B. psychoanalytische, tiefenpsychologische oder verhaltenstherapeutische Verfahren. Die Ziele hierbei sind das Erkennen unzweckmäßiger Verhaltensmuster, das Erlernen alternativer Lösungsstrategien in konflikthaften Situationen und eine Verbesserung der Anpassung an Alltag und soziales Umfeld.
Begleitend kann unter Umständen eine auf die Milderung von Begleitsymptomen zielende medikamentöse Therapie stattfinden, beispielsweise könnten starke Ängste durch angstlösende Pharmaka gelindert werden.

Prognose

Wenn auch die Therapie von Persönlichkeitsstörungen langwierig ist und von Betroffenen wie auch Therapeuten ein hohes Maß an Engagement erfordert, so ist es doch in vielen Fällen möglich, eine gute Anpassung der Patienten an die Erfordernisse des täglichen (Berufs-)Lebens zu ermöglichen. Der Erfolg einer Therapie wird maßgeblich auch von der Art der Störung und vom Vorliegen anderer (Begleit-)Störungen wie Drogenkonsum beeinflusst. Ob Persönlichkeitsstörungen vollständig „heilbar“ sind, oder ob eine Therapie nur zu einer weitgehenden Symptomrückdrängung führt, ist letztendlich unklar.

Autor: Dr. Nicolas Gumpert Veröffentlicht: 28.01.2009 - Letzte Änderung: 22.10.2021