Kann man sich Schmerzen einbilden?

Einleitung

Es gibt Schmerzen, die man nicht vollständig auf organische Ursachen zurückführen kann. Oft werden diese Schmerzen fälschlicherweise als reine ,,Einbildung‘‘ abgetan.
Empfinden Menschen körperliche Symptome, die auch nach einer ausgiebigen Diagnostik nicht erklärt werden können, spricht von einer sogenannten somatischen Störung.
Krankheiten dieser Natur, werden seit 1980 offiziell anerkannt und bedürfen einer psychosomatischen Abklärung und Therapie.
Neben dem Schmerz, gibt es eine Reihe anderer Symptome, wie Übelkeit, Schwindel, einem Druckgefühl in der Brust, Bluthochdruck, die im Rahmen einer somatischen Störung auftreten können. Die zugrundeliegenden Ursachen können hier sehr verschieden sein.

Warum kann man Schmerzen spüren, die keiner Erkrankung zuzuordnen sind?

In der Medizin ist man in den letzten Jahren von der ursprünglichen Annahme, Schmerzen wären immer durch einen Gewebeschaden verursacht, abgerückt. So werden in der neuen Definition von Schmerz die psychisch-emotionalen Aspekte der Schmerzentwicklung deutlich hervorgehoben und betont, dass Schmerz ein rein subjektives Gefühl darstellt.
Somit kann das Gefühl des Schmerzes auch ein Produkt unserer Psyche sein, der also in unseren Gedanken entsteht, aber an anderen Stellen in unserem Körper wahrgenommen werden kann.

Solch somatoforme Schmerzen können durch viele Faktoren in unserem Leben ausgelöst werden.
Beispielweise gehen Depressionen in vielen Fällen mit der Entwicklung eines somatischen Schmerzes oder anderen somatischen Störungen einher. Die genaue Entstehung dieser Schmerzform ist bis heute noch nicht bis ins Detail geklärt. 

Man geht jedoch bei gewissen Störungsbildern davon aus, dass in der Kindheit Verknüpfungen zwischen körperlichen Schmerzerfahrungen und bestimmten Verhaltensmustern entstehen, die später eine große Rolle in der Schmerzwahrnehmung spielen und so zu einem somatischen Schmerz führen können.

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Ursachen

Schmerzeinbildung und Hypochondrie

Unter dem Überbegriff der Hypochondrie werden verschiedene Krankheitsbilder zusammengefasst, die von einem ausgeprägten Gesundheitsverhalten und -bewusstsein bis hin zum sogenannten hypochondrischen Wahn reichen.
Der Hypochondrie liegt oft eine ausgeprägte Angst vor Krankheiten oder dem Kranksein zugrunde.
Da diese Patienten meist eine verstärkte bewusste Körperwahrnehmung haben, führen sie viele normale Wahrnehmungen, wie zum Beispiel eine leicht erhöhte Herzfrequenz, schnell auf eine Krankheit zurück.

Eine hypochondrische Störung kann, je nach Ausmaß, einen großen Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen haben, da sie sich exzessiv mit Krankheiten befassen und sehr oft zu einem Arzt gehen, um mögliche Krankheiten auszuschließen.
Dies kann zur Folge haben, dass das Thema Krankheit für sie ihr gesamtes Alltagsleben überschattet und soziale Interaktionen vernachlässigt werden.
Besteht bei einem Menschen der Verdacht auf das Vorliegen einer Hypochondrie, wird zunächst zu einem Gespräch mit einem Psychotherapeuten geraten. Die Behandlung besteht meist aus einer kognitiven Verhaltenstherapie.

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Psychosomatische Schmerzen

Unter psychosomatischen Erkrankungen versteht man Beschwerden, die durch psychische Belastungen oder Faktoren hervorgerufen werden und einen erheblichen Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen haben. Meist sind psychosomatische Störungen Ausdruck eines unverarbeiteten seelischen Schmerzes oder anderer Lebenserfahrungen, die auf tiefgreifende Lebensereignisse zurückzuführen sind. Solche können zum Beispiel der Verlust eines Angehörigen oder Missachtungen sein.

Psychosomatischer Schmerz ist in den meisten Fällen ein chronischer Schmerz und stellt in der Diagnostik meist eine Ausschlussdiagnostik dar, was bedeutet, dass zunächst alle anderen möglichen Ursachen für einen chronischen Schmerz ausgeschlossen werden.
Die Therapie des psychosomatischen Schmerzes besteht meist aus einer Psychotherapie, deren Ziel es ist, den zugrundeliegenden inneren Konflikt zu identifizieren und zu reduzieren. Ergänzend hierzu werden weitere Therapieoptionen wie Entspannungstechniken, Bewegung, Ergotherapie und soziale Therapie empfohlen.

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Phantomschmerzen

Als Phantomschmerz versteht man eine Schmerzwahrnehmung in einem amputierten Körperteil.
Dies bedeutet, dass Personen, die beispielsweise einen Arm amputiert bekommen haben, an der ursprünglichen Stelle des Arms Schmerzen spüren. Die Schmerzwahrnehmung ist hierbei das reine Produkt der Psyche.

Zu unterscheiden ist der Phantomschmerz von einem Stumpfschmerz, der einer Schmerzentwicklung am bleibenden Stumpf entspricht. Das Phänomen der Phantomempfindung in einer amputierten Gliedmaße kommt häufig vor, es muss jedoch nicht immer eine Schmerzempfindung sein, sondern wird auch oft als reines Kribbeln oder Jucken beschrieben.
Die genaue Ursache des Phantomschmerzes ist bislang noch nicht hinreichend geklärt, man vermutet jedoch eine Überreaktion der sensiblen Gehirnrinde, die durch das Fehlen sensorischer Informationen entsteht. Die Behandlung dieses Krankheitsbildes besteht zum einen aus einer medikamentösen Therapie mit Antidepressiva. Doch gewinnen auch andere Therapieoptionen wie Biofeedback oder eine sogenannte Spiegeltherapie immer mehr an Zuspruch.
Bei der Spiegeltherapie wird dem Patienten, mittels eines Spiegels in der Mitte zwischen beiden Gliedmaßen, das Abbild der gesunden Körperhälfte auf die kranke Körperseite projiziert. Dieser optische Reiz ruft im Gehirn Erinnerungen an das ehemalig vorhandene Körperteil hervor. Dies löst Reaktionen aus, die den Phantomschmerz unterdrücken.

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Schmerzeinbildung durch Angst

Wie oben schon näher beschrieben, weiß man mittlerweile, dass eine Schmerzwahrnehmung nicht immer auf einen Gewebeschaden zurückzuführen ist, sondern auch durch psychische Auslöser hervorgerufen werden kann. Dieses Phänomen kann man auch bei emotionalen Stresssituationen, wie dem Verspüren von Angst, beobachten.

Die Beziehung zwischen Schmerz und Angst beruht bei den meisten Patienten auf einer ausgeprägten Angst, Schmerzen zu verspüren oder davor, dass bestehende Schmerzen schlimmer werden könnten. Dies hat zur Folge, dass diese Menschen eine verstärkte Wahrnehmung für Schmerzen entwickeln, was in vielen Fällen zu einer Verstärkung des Schmerzes führt.
Eine weitere mögliche Erklärung für dieses Phänomen ist, dass Angst für den Menschen ein Signal darstellt, dass uns vor Gefahren schützen soll, die mit der Entwicklung von Schmerz einhergehen könnten.
Ist nun diese Angstentwicklung stark ausgeprägt, kann es dazu kommen, dass man alleine durch die Erwartungshaltung gegenüber kommenden Schmerz, diesen bereits verspürt.

Schmerzeinbildung bei Depressionen

Viele aktuelle Studien haben gezeigt, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung von Schmerzen und dem Bestehen einer Depression gibt. Die genaue Ursache für diese Verbindung ist noch nicht verstanden.
Das Zusammenspiel zwischen somatischen Schmerzen und Depressionen kann von beiden Richtungen ausgehen. So kann eine bestehende Depression zu einer verstärkten Schmerzwahrnehmung führen.

Anders herum können chronische Schmerzen, auch wenn sie somatisch sind, ebenfalls zu einer Depression führen.
In der Therapie dieser Fälle, bei denen eine Depression und somatischer Schmerz bestehen, hat sich gezeigt, dass man beide Erkrankungen behandeln muss um einen Therapieerfolg zu erzielen.

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Was kann man tun, wenn man sich Schmerzen einbildet?

Da die Ursache eines ,,eingebildeten‘‘ Schmerzes im seelischen Bereich vermutet wird, sollte hier auch eine mögliche Therapie ansetzen.
Eine Psychotherapie ist somit die empfohlene Therapie bei psychosomatischem Schmerz. Eine solche Therapie arbeitet mit vielen verschiedenen Methoden und es steht meist die Auseinandersetzung mit inneren Konflikten und Emotionen im Fokus, die zu der Schmerzwahrnehmung führen.
In dem aktuellen Therapiekonzept somatischer Störungen sind jedoch auch andere Ansätze, wie Gruppentherapien, Ergotherapie, Bewegungstherapie und die Ausübung von Entspannungstechniken enthalten.

In manchen Fällen müssen jedoch auch Psychopharmaka, wie beispielsweisen Antidepressiva, eingesetzt werden, um den Therapieerfolg zu verbessern oder gar erst möglich zu machen.

Autor: Dr. Nicolas Gumpert Veröffentlicht: 28.03.2018 - Letzte Änderung: 22.10.2021