Unterschenkelmuskulatur

Einleitung

Der Unterschenkel ist der Teil des Beines, welcher sich zwischen Knie und Fuß befindet. Die knöchernen Strukturen werden von Schienbein (Tibia) und Wadenbein (Fibula) gebildet, welche ihrerseits durch eine straffe Bandverbindung, die Membrana interossea cruris verbunden sind. Unterhalb des Knies besteht zwischen Tibia und Fibula ein straffes Gelenk, eine Amphiarthrose, wohingegen die beiden Unterschenkelknochen oberhalb des Sprunggelenkes bandhaft verbunden sind und die sogenannte Syndesmosis tibiofibularis darstellen. Bei dem Gelenk zwischen Ober- und Unterschenkel (Kniegelenk) handelt es sich um ein Scharniergelenk. Es erlaubt Bewegungen in den Freiheitsgraden, Streckung (Extension) und Beugung (Flexion), sowie Rotationsbewegungen in geringem Umfang. Die Schienbein-Wadenbein-Verbindungen (Art. talofibularis proximales und distales) ermöglichen als plane Gelenke lediglich Verschiebungsbewegungen, wobei das körperferne Schienbein-Wadenbein-Gelenk jedoch die Knöchelgabel bildet und somit das obere Sprunggelenk stabilisiert.

Einteilung der Unterschenkelmuskulatur

Eine Einteilung der Unterschenkelmuskulatur erfolgt nach Funktion und Lage der Muskeln in zwei Gruppen mit jeweils zwei weiteren Untergruppen. Die vordere Unterschenkelmuskulatur unterteilt sich in Extensoren (Strecker) an der seitlich-vorderen Seite und in die Wadenbeinmuskulatur, die sich im Bereich des Wadenbeines an der äußeren Seite befindet. Die hintere Unterschenkelmuskulatur gliedert sich in oberflächliche Flexoren (Beuger), die in der Anatomie gemeinsam als Musculus triceps surae bezeichnet werden und in die tiefe Beugemuskulatur.

Vordere Unterschenkelmuskulatur

Strecker/Extensoren

Die Strecker der vorderen Unterschenkelmuskulatur sind:

  • Musculus tibialis anterior
  • Musculus extensor digitorum longus und
  • Musculus extensor hallucis longus.

Die Hauptfunktion des Musculus tibialis anterior ist die Fußhebung. Seine Sehne wird von Bändern des Sprunggelenks umgelenkt und endet an der Innenseite des Fußes etwa in der Mitte der Fußwölbung eher am Fußrücken. Über diesen Ansatz vermag der Muskulus tibialis anterior den Fuß und insbesondere den Fußrand zu heben (Supination).

Der Musculus extensor digitorum longus, auch „langer Zehenstrecker“ genannt, bewirkt eine Dorsalextension (Hochziehen) der zweiten bis fünften Zehe im Zehengrundgelenk und des Fußes im oberen Sprunggelenk.

Als „langen Großzehenstrecker“ bezeichnet man den Musculus extensor hallucis longus, der für das Hochziehen der großen Zehe zuständig ist. Abhängig von der Stellung des Fußes vermag er außerdem die Einwärts- oder Auswärtsdrehung des unteren Sprunggelenkes zu unterstützen.

Wadenbeinmuskulatur

Zu den Wadenbeinmuskeln zählen:

  • Musculus peroneus longus
  • Musculus fibularis brevis

Als „langen Wadenbeinmuskel“ bezeichnet man den Musculus peroneus longus. Er setzt ähnlich wie der Musculus tibialis anterior in der Mitte der Fußbeugung, dort jedoch auf der Seite der Fußsohle an. Seine vorrangige Aufgabe ist es, den Fuß in Richtung Boden zu strecken und einwärts zu drehen. Die Sehne des Musculus peroneus longus gibt den Fuß aufgrund ihres Querverlaufes außerdem Stabilität im Quergewölbe.

Der „kurze Wadenbeinmuskel“ oder Musculus fibularis brevis, sorgt wie der Musculus peroneus longus für eine Plantarflexion, also für das Ausstrecken des Fußes nach unten. Seine Sehne verläuft bei Menschen in einer gemeinsamen Sehnenscheide mit der des Musculus peroneus longus.

Hintere Unterschenkelmuskulatur

Oberflächliche Schicht

Zu den oberflächlichen hinteren Unterschenkelmuskeln zählen:

  • Musculus soleus
  • Musculus gastrocnemius
  • Musculus plantaris

Im Bereich der hinteren Unterschenkelmuskulatur arbeiten Musculus soleus und Musculus gastrocnemius eng zusammen. Sie sind Synergisten und werden in der anatomischen Fachsprache auch als Musculus triceps surae zusammengefasst.

Der Musculus soleus (Schollenmuskel) wird größtenteils vom Musculus gastrocnemius bedeckt, weshalb er nur an den Seiten des Unterschenkels sichtbar ist. Seine Aufgabe ist die Plantarflexion, also das Herunterziehen des Fußes in Richtung Fußsohle. Außerdem ist er verantwortlich für die Hebung des inneren Fußrandes bei gleichzeitiger Senkung des äußeren.

Der Musculus gastrocnemius, auch Zwillingswadenmuskel genannt, gibt der menschlichen Wade ihre charakteristische Form. In enger Zusammenarbeit mit dem Musculus soleus bewirkt er im oberen Sprunggelenk ein Herunterziehen des Fußes (Plantarflexion), im unteren Sprunggelenk eine Hebung des inneren Fußrandes (Supination) und im Kniegelenk eine Beugung. Der Musculus gastrocnemius besitzt zwei Muskelköpfe, die entsprechend ihrer Lage Caput mediale (innerer Kopf) und Caput laterale (äußerer Kopf) genannt werden. Beide entspringen am unteren Teil des Oberschenkelknochens. Das Fersenbein stellt den Ansatz der beiden vereinigten Muskelbäuche dar. Als Achillessehne bezeichnet man die gemeinsame Sehne von Musculus gastrocnemius und Musculus soleus.

Ein beim Menschen kleiner und zurückgebildeter, beim Affen jedoch noch kräftig entwickelter Muskel ist der Musculus plantaris. Nicht bei jedem Menschen vorhanden, strahlt dieser Muskel in die Aponeurosis plantaris, eine Sehnenplatte im Bereich der Fußsohle ein. Die Funktion des Muskulus plantaris ist beim Menschen nahezu bedeutungslos. Er ist lediglich geringfügig an der Beugung des Knies und der Einwärtsdrehung des Unterschenkels in Beugestellung beteiligt.

Tiefe Schicht

Zur tiefen Schicht der hinteren Unterschenkelmuskulatur zählen:

  • Musculus tibialis posterior
  • Musculus flexor hallucis longus
  • Musculus flexor hallucis longus
  • Musculus flexor digitorum longus

Der Musculus tibialis posterior, auch „hinterer Schienbeimuskel“ genannt, setzt mit seiner Sehne, die durch den sogenannten Tarsaltunnel zieht, am Kahn- und Keilbein an. Seine Aufgaben sind die Senkung (Plantarflexion) des Fußes und die Hebung des inneren Fußrandes.

Der Musculus flexor hallucis longus, lat. für „langer Großzehenbeuger“, ist der stärkste der tiefen Zehenbeugemuskeln. Seine Sehne kreuzt im Bereich der Fußsohle die Sehne des Musculus flexor digitorum longus (siehe unten). An dieser Stelle besteht eine Verbindung der beiden Beugemuskeln, sodass der Musculus flexor hallucis longus die Wirkung des Musculus flexor digitorum longus verstärkt. Neben der Beugung der großen Zehe nach unten unterstützt der Musculus flexor hallucis longus die Plantarflexion.

Der „lange Zehenbeuger“, Musculus flexor digitorum longus, beugt alle Zehen außer der Großzehe in Richtung Fußsohle und unterstützt die Plantarflexion (Beugung in Richtung Fußsohle) des Fußes. Seine Sehne teilt sich hinter dem Tarsaltunnel, einem durch Knochen und Bindegewebe begrenzten Kanal im Bereich der Sprunggelenksinnenseite, in vier Sehnen auf, die schließlich die einzelnen Zehen erreichen.

Faszien und Logen

Als Faszie bezeichnet man kollagenes, faseriges Bindegewebe, welches Gelenk- und Organkapseln bildet und auch Muskeln, Knochen, Nervenbahnen und Blutgefäße umschließt. Die gesamte Unterschenkelmuskulatur wird durch die so genannte Fascia cruris umgeben. Einzelne Muskelgruppen werden, ihrer Funktion entsprechend, durch weitere Faszien in verschiedene Kompartimente unterteilt und voneinander getrennt. Durch diese Trennung ergeben sich Funktionseinheiten, die in der Anatomie Muskellogen genannt werden.

Im Unterschenkel finden sich die folgenden Logen:

  • Extensorenloge: Musculus tibialis anterior, Musculus extensor digitorum longus, Musculus extensor hallucis longus
  • Flexorenloge: Musculus triceps surae, Musculus tibialis posterior, Musculus flexor hallucis longus, Musculus flexor digitorum longus, Musculus popliteus
  • Fibularisloge: Musculus fibularis longus, Musculus fibularis brevis

Die Faszien, welche das Muskelgewebe umgeben, bewirken eine Kompression, die Schwellungen nach Beanspruchung oder Verletzung vorbeugen kann.

Kompartmentsyndrom

Die anatomische Trennung der einzelnen Muskelgruppen durch Faszien birgt jedoch das Risiko, dass es nach Verletzungen zu Einblutungen in die Muskellogen kommt. Das Kompartmentsyndrom entsteht meist durch Traumata wie zum Beispiel Knochenbrüche oder in Folge stumpfer Gewalt. Auch Operationen oder muskuläre Überbelastung, wie sie bei Leistungs- und Hobbysportlern auftreten kann, können über Blutungen oder Ödembildung ein Kompartmentsyndrom auslösen.

Bedingt durch die verminderte Dehnbarkeit des derben Bindegewebes der Faszie, kann der Druck innerhalb eines Muskelkompartimentes stark ansteigen, wodurch auch Gefäß-Nervenbündel des Unterschenkels komprimiert werden. Es folgt eine Beeinträchtigung der Blutversorgung und der neuromuskulären Funktion. Frühsymptom ist ein starker Schmerz in der betroffenen Extremität in Verbindung mit einem Spannungsgefühl und zunehmenden Gefühlsstörungen wie Taubheitsgefühl und Kribbeln. Die Beweglichkeit kann mitunter stark eingeschränkt sein. Durch den steigenden Druck in der Loge wird der venöse Abfluss zunehmend behindert. Bei zunächst erhaltener arterieller Durchblutung tritt ein Teufelskreis in Gang, über den es zu einem weiteren Druckanstieg kommt. In der Folge kommt es zum Erliegen der arteriellen Durchblutung mit zunehmender Mangelversorgung der Muskulatur. In diesem Stadium treten motorische Defizite und eine Pulslosigkeit im Gebiet nach der betroffenen Muskelloge auf. Aufgrund des drohenden ausgedehnten Gewebeunterganges ist das Kompartementsyndrom ein absoluter Notfall, der dringend versorgt werden muss.

Die Therapie der Wahl bei einem traumatischen Kompartmentsyndrom ist die chirurgische Spaltung der Faszie der betroffenen Muskelloge und der angrenzenden Kompartimente, um eine Druckentlastung zu bewirken. Nach der Abschwellung kann der künstlich gesetzte Einschnitt entweder genäht oder mittels einer Hauttransplantation gedeckt werden. Wird das Kompartmentsyndrom nicht rechtzeitig behandelt, kann es zu einem massiven Untergang des betroffenen Muskelgewebes kommen, der im Extremfall eine Amputation der Extremität notwendig macht.

Lesen Sie mehr zu diesem Thema unter: Kompartmentsyndrom

Schienbeinkantensyndrom

Das Schienbeinkantensyndrom, auch, je nach Lokalisation mediales (mittleres) bzw. laterales (seitliches) Tibiakantensyndrom genannt, ist eine Erkrankung, die meist im Zusammenhang mit sportlicher Aktivität auftritt. Es bezeichnet belastungsabhängige, dumpfe oder stechende Schmerzen an der Schienbeinkante. Besonders gefährdet sind Jogger oder Sportler, die intensives Training in Sportarten mit besonderer Belastung der Schienbein- oder Fußmuskulatur ausüben.

Mehrere Zustände können Auslöser der Schmerzen sein. Die genaue Entstehung des Schienbeinkantensyndroms ist nicht abschließend geklärt. Es scheinen besonders Pronationsbewegungen des Fußes, das heißt Hebung des seitlichen Fußrandes mit gleichzeitiger Senkung des mittleren Fußrandes, ein Schienbeinkantensyndrom zu begünstigen. Nach derzeitigem Kenntnisstand sind die Ursachen zumeist Überbeanspruchung der Muskulatur, Entzündungen oder Verletzung des Muskels. Überbeanspruchung kann aus einer Vielzahl von Sportarten resultieren. Im Vordergrund stehen dabei jedoch Lauf- oder Ballsportarten mit schnellem Richtungswechsel wie Fußball oder Handball. Bei Untrainierten kann zu intensives Training rasch zu einem Schienbeinkantensyndrom führen. Auch bei routinierten und trainierten Sportlern kann es in Folge einer raschen Gewichtszunahme oder eines Wechsels des Schuhwerks zur Erkrankung kommen.

Häufig tritt der Schmerz am Tag nach der Belastung auf. Wird dennoch weiter trainiert, kann auch das Training schmerzhaft sein. An der Stelle der starken Belastung des Schienbeinknochens kann es im Laufe der Zeit zu Knochenhautentzündungen zum Beispiel des Schienbeins kommen. Vor allem Hobbysportler neigen dazu, Schmerzen auf die Überbeanspruchung der Muskulatur zu schieben. Bei Verdacht auf eine Entzündung der Knochenhaut sollte unverzüglich eine entsprechende Diagnostik mittels bildgebender Verfahren (Kernspintomografie) und eine anschließende Therapie eingeleitet werden. Als besonders belastend empfinden gerade Sportler die mitunter langfristige Beeinträchtigung beim Training, die sich durch das langsame Abheilen der Erkrankung erklärt.

Die Therapie selbst ist nicht selten unbefriedigend und die Möglichkeiten der Medizin sind bisweilen begrenzt. Im Vordergrund steht die Schonung der betroffenen Extremität, wodurch es in der Regel zu einer raschen Besserung der Beschwerden kommt, die jedoch bei erneuter Belastung wieder auftreten können. Durch lokale Kühlung kann der Krankheitsverlauf günstig beeinflusst werden. Bei starken Schmerzen können Nichtsteroidale-Antirheumatika wie Ibuprofen® schmerzlindernd wirken. Bei der Wahl von Einlagen oder Stützen, die während des Trainings im Schuh getragen werden, kann der Arzt eine Hilfestellung geben und beraten.

Lesen Sie mehr zu diesem Thema unter: Schienbeinkantensyndrom

Angeborener Klumpfuß

Der angeborene Klumpfuß, auch Pes equinovarus, ist eine Fehlstellung des kindlichen Fußes und kommt mit einer Häufigkeit von 1:1000 Geburten vor. J
ungen sind doppelt so häufig betroffen wie Mädchen. Ursächlich für die Fußdeformität ist eine Störung des Gleichgewichtes der Unterschenkelmuskulatur, bei der die Plantarflexoren, also Beuger des Fußes in Richtung Fußsohle, und Supinatoren, Heber des mittleren Fußrandes, überwiegen.

Als „Klumpfußmuskel“ wird auch der Musculus tibialis posterior bezeichnet, der den Fuß in Supination bringt und in Richtung Fußsohle beugt. Die Fehlstellung besteht direkt bei der Geburt und ist eine Kombination mehrerer Deformitäten. In der Regel kommen eine Einwärtsdrehung des Fußes, die Sichelfußstellung des Vorfußes, Spitzfuß, Hohlfuß und eine seitliche Abweichung der Ferse zusammen.

Die genaue Entstehung des angeborenen Klumpfußes ist noch nicht geklärt.
Man nimmt jedoch an, dass die Lage des Embryos in der Gebärmutter einen entscheidenden Faktor darstellt.
Auch eine verminderte Menge des Fruchtwassers könnte die Entstehung eines Klumpfußes begünstigen. Infolge eines Neuralrohrdefektes, der fehlerhaften Bildung der embryonalen Anlage des zentralen Nervensystems, kann es zu einer Lähmung der Unterschenkelmuskulatur und dadurch zur Entstehung eines Klumpfußes kommen. Ferner wird diskutiert, ob ein angeborener Klumpfuß als Folge der Einnahme von Folsäure-Antagonisten wie Aminopterin® oder Methotrexat® in der vierten bis zwölften Schwangerschaftswoche auftreten kann.

Die Behandlung sollte sofort nach der Geburt eingeleitet werden. Zunächst besteht die Therapie in der Fixierung des Fußes, der sogenannten Retention, welche schrittweise einer korrekten Stellung angepasst wird (Redressement). Der Gipsverband muss regelmäßig gewechselt werden, wobei das Redressement fortgesetzt wird. Im Alter von ca. drei Monaten kann eine Operation an der Achillessehne notwendig werden, wobei diese verlängert und der Winkel zwischen Sprung- und Fersenbein korrigiert wird.

Weitere Maßnahmen können in der Verpflanzung des Musculus tibialis anterior, Knochenkorrekturen oder Gelenkversteifungen bestehen. Um verkürzte Muskeln zu dehnen und die Gelenke des Fußes zu mobilisieren, sollten physiotherapeutische Verfahren schon früh zum Einsatz kommen, da es im Langzeitverlauf zu einem erneuten abweichen in die Fehlstellung kommen kann.

Lesen Sie mehr zu diesem Thema unter: Klumpfuß

Weitere Informationen

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Autor: Dr. Nicolas Gumpert Veröffentlicht: 05.01.2008 - Letzte Änderung: 25.07.2023