Epigenetik

Definition

Die Epigenetik ist ein weites und umfangreiches biologisches Fachgebiet, welches sich mit genetischen Funktionen beschäftigt, die über die reine Abfolge der Basen der DNA hinausgehen.
Das Erbgut besteht primär aus DNA-Strängen, die aus verschieden angeordneten Basenpaaren gebildet werden. Bei jedem Menschen liegen Unterschiede in der Reihenfolge der Basenpaare vor, welche am Ende die Individualität jeder Person festlegen.
Doch auch bei gleichem Erbgut können epigenetische Faktoren dazu führen, dass die Gensequenzen unterschiedlich umgesetzt werden und zu weiteren Unterschieden führen.
Diese epigenetischen Merkmale eines Menschen lassen sich heutzutage nur teilweise im Erbgut untersuchen.

Auch bei scheinbar intaktem Erbgut können durch diese Epigenetik durch eine nachträgliche Modifizierung des Erbgutes Erkrankungen entstehen.

Wie funktioniert die Epigenetik?

Das menschliche Genom, welches sich in den Chromosomen befindet, besteht aus zahlreichen Basenpaaren, die für das Erbgut codieren.
Die Basenpaare legen einen Code fest, nach dem der Körper das Erbgut umsetzt.
Genetische Erkrankungen entstehen dadurch, dass auf den Genen bei einzelnen Basen Mutationen oder Verschiebungen entstehen, wodurch der Code fehlerhaft ist und ein falsches Gen produziert wird.
Ein typisches Beispiel für eine solche Erkrankung ist die Mukoviszidose. Hier kommt es durch unterschiedliche Mutationen und Fehlbildungen zu einem Defekt des „CFTR-Gens“, welches in diversen Organen für einen Chlorid-Kanal codiert.

Bei epigenetischen Veränderungen liegt eine solche eindeutige Veränderung im Gen nicht vor.
Zur Umsetzung des Gens in ein entsprechendes Produkt, welches im Körper wirkt und aktiv ist, kommen zahlreiche weitere Prozesse ins Spiel: 

Die DNA ist verpackt und muss zunächst gelockert werden, damit die zu produzierenden Gensequenzen freigelegt werden. In der Epigenetik kommt es nun zu Prozessen an den DNA-Basen selbst oder der Verpackung der DNA-Stränge, wodurch die Produktionsweise einzelner Genabschnitte verändert wird. Hierdurch können einzelne Genbereiche hervorgehoben werden, während andere Abschnitte stillgelegt werden.

Die Einflüsse der epigenetischen Veränderungen auf das Erbgut können erheblich sein. Wichtige Gensequenzen können dadurch vollständig stillgelegt sein, während andere Gene überproduziert werden.
Daraus können auf verschiedene Weisen Krankheiten und unterschiedliche körperliche Merkmale entstehen.
Im Laufe des Lebens verändert sich die Epigenetik aufgrund des Alters und unter dem Einfluss von Hormonen und Umweltfaktoren.

Aus diesem Grund wird vermutet, dass die Epigenetik einen maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung von Herz-Kreislaufkrankheiten und den Prozess des Alterns besitzt.
Auch Schizophrenie, Alzheimer, Krebs, Diabetes und psychiatrische Erkrankungen entstehen womöglich im Zusammenhang mit epigenetischen Veränderungen.
In diesem Feld wird weiterhin viel geforscht, damit diverse Erkrankungen womöglich zukünftig erklärt und besser behandelt werden können.

Beispiele einer Epigenetik

Epigenetische Beispiele lassen sich bei jedem Menschen im Alter beobachten. Viele Krankheitsentstehungen werden heutzutage unter anderem auf epigenetische Veränderungen zurückgeführt.
Ein typisches Beispiel einer sichtbaren Epigenetik ist die sogenannte „X-Inaktiverung“.
Dabei wird ein X-Chromosom durch epigenetische Prozesse vollständig stillgelegt. Das betrifft vor allem Frauen, die zwei X-Chromosomen besitzen. Ein X-Chromosom bleibt dabei aktiv, weshalb es nicht zu einer auffälligen klinischen Symptomatik kommt.
Das kann dazu führen, dass genetische sogenannte „rezessive“ Erkrankungen auf dem weiterhin aktivierten X-Chromosom ausbrechen, die sonst nicht aufgetreten wären, weil sie durch das zweite XChromosom hätten kompensiert werden können.

Ein weiteres Beispiel für Epigenetik ist die sogenannte „genomische Prägung“.
Hierbei besitzen die Gene des Kindes eine elterliche genomische Prägung, was bedeutet, dass lediglich Gene eines Elternteils aktiv sind. Hierdurch kann es ebenfalls zu seltenen Erkrankungen wie dem Angelman-Syndrom, dem Prader-Willi-Syndrom oder sogar Tumorerkrankungen wie dem Wilms-Tumor kommen.
Die genauen Wirkungsweisen der genomischen Prägung auf diese Erkrankungen sind noch weitestgehend unerforscht.

Welche Rolle spielt die Epigenetik bei Krebs?

Die Zusammenhänge der Epigenetik und der Entstehung von Krebserkrankungen werden intensiv erforscht. Die meisten Krebsarten entstehen durch eine ungehemmte Replikation von Zellen, die somit zu Tumorzellen werden.
Dahinter können genetische Modifikationen oder epigenetische Faktoren stecken.
Diese können einzelne Gensequenzen hervorheben und zu einem Tumorwachstum führen.

Sowohl kindliche als auch erwachsene Tumorerkrankungen können auf epigenetische Veränderungen zurückzuführen sein.
Bei Kindern lassen sich diese Erkrankungen noch besonders gut erforschen, da sie eine sehr gleiche Epigenetik besitzen. Im Laufe des Lebens ändert sich die Epigenetik durch das Alter und verschiedene Umweltfaktoren.
Hierdurch ergeben sich neue Möglichkeiten einer Tumorentstehung.

Diese epigenetischen Fehlregulierungen von Genen können in der Krebsbehandlung jedoch auch zum eigenen Vorteil eingesetzt werden. Prinzipiell ist es möglich, die Epigenetik eines aktivierten Gens so zu verändern, dass Krebserkrankungen damit direkt ausgeschaltet werden.

Sowohl in der Krebsentstehung als auch in der Krebsbehandlung durch epigenetische Mechanismen bestehen noch große Forschungslücken.
Bisher ist es noch nicht möglich, diese Verfahren therapeutisch anzuwenden.

Welche Rolle spielt die Epigenetik bei Depression?

Insbesondere in der Entstehung von psychiatrischen Erkrankungen spielt die Epigenetik eine wichtige Rolle.
Durch die Aktivierung und Inaktiverung bestimmter Gensequenzen können Erkrankungen wie Depressionen und Schizophrenie begünstigt entstehen.

Verantwortlich dafür sind vermutlich auch das Alter und Umweltfaktoren, die zu veränderten epigenetischen Prozessen führen. Psychische Erkrankungen hängen wechselwirkend mit der Epigenetik des Menschen zusammen.
So ist beispielsweise bekannt, dass psychischer Stress zu epigenetischen Veränderungen führt, die eine Zellalterung bewirken.

Auch starke psychische Belastungen in der Kindheit nehmen erheblichen Einfluss auf die Epigenetik, was zu psychiatrischen Folgeerkrankungen zu einem späteren Zeitraum führen kann.

Epigenetik bei Zwillingen

Die Forschung der Epigenetik kann insbesondere bei eineiigen Zwillingen sehr gut erfolgen.
Diese besitzen zwar das gleiche Erbgut, können jedoch im Laufe ihres Lebens erheblich unterschiedliche äußere und innere Charakteristika aufweisen.

Diese Unterschiede können auf epigenetische Veränderungen durch Zufälle und Umweltfaktoren zurückgeführt werden. Auch wenn jeder Zwilling das identische Erbgut besitzt, werden nur wenige Gensequenzen aktiviert, wofür die individuell unterschiedliche Epigenetik verantwortlich ist.

In jungen Lebensjahren unterscheidet sich die Epigenetik kaum.
Mit steigendem Lebensalter und unterschiedlichen Umwelteinflüssen werden die Unterschiede offenkundiger.
Eine epigenetische Prägung liegt jedoch trotzdem vor.
Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit einer ähnlichen Epigenetik mit der Entstehung epigenetisch verursachter Erkrankungen bei Zwillingen weiterhin hoch ist.

Welchen Einfluss haben Umwelteinflüsse auf die Epigenetik?

Die Epigenetik wird nach aktuellem Forschungsstand maßgeblich vom fortgeschrittenen Lebensalter, von Zufällen und von Umweltfaktoren beeinflusst.
Die Umweltfaktoren können dabei psychischer und physischer Natur sein.

Bekannte negative Umweltfaktoren, die eine negative Veränderung der Epigenetik verursachen, sind Kindheitstraumata, Stress, psychische Belastungen oder Depression.
Auch eine ungesunde Ernährung oder schädliche Chemikalien wie Tabakrauch oder Alkohol üben einen negativen Einfluss auf die Epigenetik des Erbguts aus.

Im fortgeschrittenen Lebensalter können aus verschiedenen Umwelteinflüssen über epigenetische Veränderungen Erkrankungen der Psyche, des Herz-Kreislaufsystems aber auch zahlreicher anderer Organe resultieren.
Die genauen Zusammenhänge und Wirkungsweisen im Genom sind jedoch noch nicht erforscht.

Autor: Dr. Nicolas Gumpert Veröffentlicht: 01.04.2020 - Letzte Änderung: 25.07.2023