Verlustängste bei Kindern

Einleitung

Verlustängste sind ein Phänomen, dass jeder in verschiedenen Intensitäten schon einmal verspürt hat. Sie können sich hierbei auf viele verschiedene Dinge beziehen, wie auf die Tiere, Gegenstände oder den Job.
Bei Kindern wie auch bei Erwachsenen ist jedoch das häufigste Ziel einer Verlustangst die Familie. Eine gewisse Verlustangst in Bezug auf die Familie ist bei allen Kindern vorhanden, doch kann diese durch traumatische Erlebnisse für das Kind deutlich verstärkt werden. Zu solchen Ereignissen gehören eine Scheidung der Eltern, der Verlust eines engen Familienangehörigen oder eine massive Vernachlässigung des Kindes.
Die hieraus resultierenden Symptome können sehr facettenreich sein. Meist treten vor allem die Angst vor dem Alleinsein beim Schlafengehen und der Dunkelheit, aber auch langanhaltendes Weinen, wenn ein Elternteil nur für wenige Minuten weg ist, auf.
Werden solche übermäßigen Ängste der Kinder nicht ausreichend ernst genommen und etwas dagegen unternommen, können sich Verlustängste in der Kindheit auch auf Verhaltensweisen im späteren Leben auswirken. Hierzu gehören beispielsweise die Schwierigkeit, Nähe zuzulassen oder engere persönliche Beziehungen einzugehen.

Ursachen

Die zugrundeliegende Ursache für überschießende Verlustängste bei Kindern liegen meist in traumatischen Ereignissen, die sie im Laufe ihrer Entwicklung durchgemacht haben. Solche Ereignisse, wie der Verlust eines Geschwisterkindes oder eines Elternteils, bewirken, dass die Kinder sich umso mehr an die Bezugspersonen klammern, um diese „nicht auch noch“ zu verlieren.

Weitere Ursachen können jedoch auch die Trennung der Eltern, und dem damit oft verbundenen Verlust einer Bezugsperson, oder eine deutliche Vernachlässigung durch eine oder beide Elternteile sein.
Jedoch kann auch genau das Gegenteil, eine zu starke Bindung an eine Bezugsperson, meist die Mutter, Auslöser von starken Verlustängsten sein.

All diese Ursachen können verhindern, dass Kinder im Laufe ihrer Entwicklung nicht das Vertrauen darin aufbauen können, dass die Eltern immer wiederkommen, nachdem sie für kurze Zeit weg waren. Dies führt dazu, dass Kinder eine, wenn auch kurzfristige, Trennung als Verlust wahrnehmen, was sich dann als dauerhafte Angst ausdrücken kann.

Mehr Informationen zu dem Thema finden Sie unter: Bindungsstörungen bei Kindern.

Diagnose

Die Diagnose einer übermäßigen Verlustangst, in der Psychologie als sogenannte „Emotionale Störung mit Trennungsangst des Kindesalters“ bezeichnet, wird anhand von bestimmten beobachtbaren Verhaltensmustern und von dem Kind ausgesprochenen Ängsten getroffen.
Zu diesen gehören beispielsweise die Verweigerung, in die Schule oder den Kindergarten zu gehen, um bei der Bezugsperson bleiben zu können oder andauernde, jedoch unrealistische Ängste vor Gefahren, die das Kind von der Bezugsperson trennen könnten. Diese Ängste können sich auch als körperliche Symptome auf das Kind auswirken, zu denen Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen oder Bauchschmerzen gehören.

Die meisten dieser Verhaltensweisen treten zwar bei den meisten Kinder im Rahmen der Entwicklung auf, doch geht es bei der Diagnose einer solchen emotionalen Störung vor allem um das Ausmaß und die Dauer dieser Verhaltensweisen.

Was ist normal und was ist auffällig?

Grundsätzlich ist es nicht möglich, einen genauen Umstand oder ein bestimmtes Verhalten anzugeben, wann Verlustängste bei Kindern noch „normal“ sind und ab wann sie als „auffällig“ gelten, da diese von vielen Faktoren, wie dem Charakter des Kindes oder dem Umfeld abhängen. Meist hilft hier jedoch ein Vergleich mit gleichaltrigen Kindern und der Austausch mit anderen Eltern über das Verhalten ihrer Kinder, um das eigene Kind besser einschätzen zu können.

Es ist völlig normal und von der Natur auch so vorgesehen, dass Babys und Kleinkinder beim Weggehen oder auch schon dem Blickverlust der Eltern anfangen zu weinen, da sie noch nicht gelernt haben, dass die Eltern immer wiederkommen. Diese Erkenntnis bildet sich erst im Laufe der Zeit aus, sodass Kinder mit einem Jahr nicht immer anfangen zu weinen, sobald die Bezugsperson (Mutter oder Vater) nicht sichtbar ist.

Lesen Sie dazu auch unseren Artikel: Fremdeln beim Baby.

Als „auffällig“ würde man ein Verhalten beschreiben, bei dem dieser Prozess erst deutlich später auftritt und Kinder im Alter von zwei oder drei Jahren immer noch eine ausgeprägte Angst aufweisen, sobald sich die Bezugsperson für wenige Minuten entfernt.
Eine weitere Bewährungsprobe stellt für die meisten Kinder der Anfang ihrer Kindergartenzeit dar, da sie hier meist zum ersten Mal längere Zeit regelmäßig von ihren Eltern getrennt sind. Normalerweise gewöhnen sich die Kinder jedoch innerhalb von ein bis zwei Wochen an den Umstand, dass sie wenige Stunden ohne ihre Eltern verbringen müssen. Dauert dieser Prozess deutlich länger an oder machen die auftretenden Ängste sogar ein Besuch des Kindergartens unmöglich, kann man dies ebenfalls als „auffällig“ beschreiben, woraufhin man sich gezielt mit den Ängsten des Kindes befassen und Maßnahmen finden sollte, diese zu bewältigen.

Begleitende Symptome

Neben der eigentlich Angst, die bei dieser emotionalen Störung auftritt, können auch weitere Symptome mit dieser einhergehen. Zu diesen gehören:

  • Verhaltensänderungen wie lautes Schreien und Wutausbrüche in Angesicht einer bevorstehenden kurzen Trennung, beispielsweise auf der Fahrt in den Kindergarten,
  • körperlich Symptome, wie Bauch- und Kopfschmerzen, eine Verstimmung der Verdauung bis hin zu Übelkeit und Erbrechen,
  • Bettnässen oder
  • eine starke Appetitlosigkeit.

Lesen Sie mehr zu dem Thema unter: Bettnässen bei Kindern.

Was sind die Folgen für das Kind?

Die Folgen von Verlustängsten im Kindesalter für das spätere Leben können in ihrer Stärke extrem variieren und hängen maßgeblich vom Zeitpunkt ab, an dem begonnen wurde, die Ängste zu lindern.
So konnten Langzeitstudien zeigen, dass Personen, die in ihrer Kindheit unter starken Verlustängsten litten oder dies auch noch immer tun, Probleme im sozialen Umgang mit anderen Menschen haben können. Diese bestehen vor allem in der Schwierigkeit, engere Freundschaften oder Beziehungen eingehen zu können.
Zudem kann es für Betroffene schwer sein, körperliche Nähe zulassen zu können.

Weiterhin wird von der vermehrten Ausbildung von Kontrollzwängen oder Depressionen berichtet.

Aus diesen Gründen ist es wichtig, diese Ängste, sofern sie ein bestimmtes Maß überschreiten, ernst zu nehmen und zu versuchen, diese zu lindern, um mögliche Folgen für das spätere Leben des Kindes zu verhindern.

Allgemeine Informationen zum Thema Verlustangst und deren Folgen sowie Therapiemöglichkeiten auch im erwachsenen Alter finden Sie unter: Verlustangst

Therapiemöglichkeiten

Grundsätzlich gilt, dass es nie zu spät ist, zu versuchen, die Verlustängste bei Kindern zu lindern.

  • Im Fokus steht hierbei vor allem die Beziehung zwischen Kind und Elternteil, mit dem Ziel, dass das Kind Vertrauen in die Beziehung aufbauen kann.
  • Hierzu gibt es verschiedene Ansätze, die beispielsweise aus dem Schaffen von Ritualen oder gemeinsamer Spielzeiten bestehen können.
  • Jedoch ist es auch wichtig zu versuchen, das direkte Gespräch mit dem Kind zu finden, und über die Ängste des Kindes zu sprechen.
  • Zudem sollte versucht werden, ein gemütliches und sicheres Zuhause für das Kind zu schaffen, um optimale Rahmenbedingungen für diesen Vertrauensaufbau zu schaffen.
  • Weiterhin sollte das Selbstvertrauen des Kindes gestärkt werden, beispielsweise durch das Loben bestimmter Verhaltensweisen.

Wichtig ist jedoch auch, dass man nicht den Schluss zieht, jede Situation vermeiden zu wollen, in denen Verlustängste bei dem Kind auftreten. Diese sollten anfangs jedoch nur so kurz sein, dass das Kind den direkten Zusammenhang zwischen der Entstehung der Angst und dem Wiederkommen der Bezugsperson erkennen kann. Hierdurch wird es erlernen, dass die Angst unbegründet ist, da die Mutter oder der Vater immer wieder zurückkommen wird.

Homöopathische Therapiemöglichkeiten

Es gibt viele verschiedene Mittel, die im Rahmen der homöopathischen Therapie von Trennungsängsten Anwendung finden.

Calcium carbonium ist beispielsweise bekannt als ein Mittel, dass bei Kindern eingesetzt wird, die vor allem nächtliche Trennungsängste vor dem Schlafen gehen haben. Hingegen wirkt Ignatia D12 verstärkt bei Kindern eingesetzt, die mit körperlichen Symptomen (Bauchschmerzen, Schwitzen, etc.) auf Trennungsängste reagieren.
Pulsatilla wird eingesetzt, wenn Kinder unter starker Unsicherheit gepaart mit Verlustängsten leiden. Neben den drei am häufigsten genannten homöopathischen Mittel gibt es noch eine Reihe weiterer Mittel, die aus der Gruppe der Bachblüten stammen und im Zusammenhang mit Verlustängsten eingesetzt werden.

Bachblüten

Im Rahmen der homöopathischen Behandlung einer ausgeprägten Verlustangst bei Kindern finden neben den oben erwähnten Mitteln vor allem Bachblüten Anwendung. Die bekanntesten Vertreter dieser Gruppe sind

  • die rote Kastanie (Red Chestnut),
  • die gefleckte Gaucklerblume (Mimulus),
  • die Espe (Aspen) und
  • der Oderming (Agrimony).

Welches dieser Mittel im speziellen Fall angewandt wird, hängt vor allem von der Qualität der Angst und den auslösenden Faktoren ab. So wird die rote Kastanie vor allem bei Ängsten eingesetzt, die mit der Furcht einhergehen, dass den Eltern etwas zustoßen könnte. Die Espe hingegen wird bei einer eher diffusen, unbestimmten Angst eingesetzt.

Lesen Sie mehr zu diesem Thema unter: Bachblüten gegen Angst bei Kindern.

Wann treten Verlustängste auf und wie lange dauern sie an?

Für Verlustängste bei Kindern kann man kein genaues Alter oder eine bestimmte Dauer angeben, in denen diese auftreten und danach wieder verschwinden. Wie lange die Verlustängste andauern, ist von Kind zu Kind unterschiedlich und hängt von vielen anderen Faktoren, wie dem Auslöser und dem Umgang mit dieser Angst, ab.
In den meisten Fällen ist jedoch das erste Kindergartenjahr betroffen, da das Kind hier zum ersten Mal für mehrere Stunden von den Bezugspersonen getrennt ist.

Wenn Eltern die übermäßige Verlustangst ihres Kindes zeitig erkennen und versuchen zu lindern, gelingt meist innerhalb weniger Monate eine deutliche Reduktion dieser Ängste.  

Autor: Dr. Nicolas Gumpert Veröffentlicht: 15.10.2018 - Letzte Änderung: 22.10.2021