Spinale Muskelatrophie - SMA

Definition

Die spinale Muskelatrophie (SMA) wird zu den nervenschädigenden Erkrankungen des zentralen Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) gerechnet und ist vererbbar.
In ihrem Verlauf kommt es zu einer Schädigung von Nervenzellen und der von ihnen innervierten Muskulatur. Die Erkrankung ist relativ selten und zeigt eine große Variabilität. Sie kann in den ersten Lebensmonaten sowie im Erwachsenenalter auftreten.

Grundsätzlich kommt es bei der Erkrankung zu einer Schwächung und Rückbildung der Muskulatur, weshalb die Erkrankung im Volksmund auch als „Muskelschwund“ bezeichnet wird.

Formen

Grundsätzlich sind zwei Formen zu unterscheiden, nämlich die nicht – proximalen Muskelatrophien und die proximalen Muskelatrophien.

Bei den proximalen Muskelatrophien beginnt die Krankheit an den rumpfnahen (proximalen) Muskelgruppen, zum Beispiel im Bereich des Oberschenkels sowie der Becken – und Hüftmuskulatur.

Die nicht-proximalen Muskelatrophien sind sehr selten und befallen zunächst meist die Fuß – und Handmuskulatur oder die Schulter – und Unterschenkelmuskulatur. Zusätzlich sind einige selten vorkommende Formen bekannt, die mit verschiedenen Funktionseinschränkungen einhergehen.

Typen der spinalen Muskelatrophie

Die proximalen Muskelatrophien lassen sich in 4 verschiedene Typen unterteilen. Diese unterscheiden sich hinsichtlich Erkrankungsbeginn, dem Erlernen von muskulären Fähigkeiten und der möglichen Lebenserwartung.

Typ I (Werdnig – Hoffmann = akute infantile SMA)

Beim Typ I der SMA liegt der Beginn der Erkrankung meist vor dem Erreichen des 6 Lebensmonates. Kinder, die am Typ I erkrankt sind, können zum Beispiel ihren Kopf nicht aus eigener Kraft halten. Freies Sitzen kann nie erlernt werden und der Tod tritt bereits innerhalb der ersten Lebensmonate ein. Gründe für das rasche Sterben können Infektionen oder Lähmungen der Atemmuskulatur sein.
Charakteristische Symptome sind ausgeprägte Muskelschwäche, fehlende oder verminderte Muskelreflexe sowie Muskelzuckungen. Auffallend sind gute geistige Fähigkeiten der betroffenen Patienten.

Typ II = intermediärer Typ = chronische infantile SMA

Der Krankheitsbeginn beim Typ II liegt innerhalb der ersten 18 Lebensmonate. Der Muskelschwund schreitet hier langsamer voran als beim Typ I. Freies Sitzen kann erlernt werden, freies Laufen ist nicht möglich.

Nicht selten kommt es zu einer starken Verkürzung der Muskulatur (Kontrakturen) sowie zu einer Formveränderungen der Wirbelsäule (z.B. eine Skoliose). Ein Überleben bis ins Erwachsenenalter ist zwar möglich, dennoch muss mit einer verminderten Lebenserwartung gerechnet werden.

Typ III = Kugelberg –Welander = juvenile SMA

Hier liegt der Erkrankungsbeginn oftmals nach dem 2 Lebensjahr. Der Typ III zeigt einen deutlich milderen Verlauf. Zu Beginn sind vor allem eine Gangschwäche und eine Verminderung der Muskelreflexe zu beobachten. Die Lebenserwartung ist nur gering vermindert.

Typ IV = adulter SMA

Der Typ IV beginnt ab dem vollendeten 30 Lebensjahr und hierbei bleibt die Fähigkeit zum Laufen erhalten. Der Verlauf sowie das Fortschreiten der Erkrankung sind sehr variabel und können verschiedene Muskelgruppen betreffen. Die Lebenserwartung ist als normal anzusehen.

Ursachen

Die Hauptursache der SMA ist eine fortschreitende Schädigung und Zerstörung von spezifischen Nervenzellen im Rückenmark (Motoneurone). Diese sind für die Steuerung und die Regulation der Muskulatur verantwortlich. Somit können Impulse vom Gehirn nicht mehr an die entsprechende Muskulatur weitergeleitet werden.
Dieses führt zu einer Schwächung und Rückbildung (Atrophie) der betroffenen Muskulatur.
Der Grund für die Zerstörung von Nervenzellen liegt in der Veränderung (Mutation) eines wichtigen Gens (SMN –Gen) im Erbgut (DNA). Unter normalen Umständen bildet dieses Gen spezifische Eiweiße aus, welche die Nervenzellen vor einer Schädigung schützen sollen.

Ist die spinale Muskelatrophie vererbbar?

Für die Vererbung der Erkrankung ist entscheidend, ob das veränderte Gen auf beiden Erbträgern (Chromosomen) vorliegt oder ob das alleinige Vorliegen auf einem der beiden Erbträger ausreicht, um die Erkrankung an die Nachkommen zu vererben. Viele Menschen tragen zwar ein defektes Gen in sich, sind aber selbst von der Erkrankung nicht betroffen. Hierbei wird der Gendefekt durch eine zweite, intakte Genkopie auf den Erbträgern ausgeglichen. Zum Vorschein kommt die Erkrankung somit nur, wenn ein Kind von beiden Elternteilen das veränderte Gen erhält.

Begleitende Symptome

Neben Schwächung und Abbau der Muskulatur gehören Lähmungen (Paresen), eine verminderte Muskelspannung sowie eine Abnahme der Muskelkraft zu den begleitenden Symptomen. Sind zusätzlich auch Nerven im Bereich des Kopfes (Hirnnerven) betroffen, führt dieses zu einer Behinderung beim Kauen, Schlucken und Sprechen.
Auch Faszikulationen, also unwillkürliche Zuckungen der Muskulatur können auftreten.
Gleichzeitig können Schmerzen in den betroffenen Muskelgruppen auftreten.
Ist die Atemmuskulatur geschädigt, so tritt Atemnot als begleitendes Symptom auf. Probleme beim Sehen oder Hören sowie eine Abnahme der geistigen Fähigkeiten sind in der Regel nicht zu beobachten.

Betroffene Patienten zeigen eine starke Bewegungseinschränkung aufgrund einer geschwächten Bein -, Rumpf - und Armmuskulatur. Formveränderungen an der Wirbelsäule führen ebenfalls zu einer eingeschränkten Beweglichkeit.

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Diagnose

Zunächst steht die gründliche körperliche sowie neurologische Untersuchung des Patienten im Vordergrund. Dabei sollten verschiedene Tests zur Ermittlung der Muskelkraft durchgeführt werden, wobei auf Rückbildungen bestimmter Muskelgruppen sowie auf Veränderungen von Muskelreflexen geachtet wird. Für die Sicherung der Diagnose stehen verschiedene Untersuchungen zur Verfügung.

Die Funktion von Nervenzellen kann durch eine Messung der Nervenleitungsgeschwindigkeit überprüft werden. Die Bestimmung der elektrischen Muskelaktivität kann Hinweise über den Erregungszustand der Muskulatur liefern. Über eine spezifische Blutuntersuchung lassen sich Genveränderungen im Bereich des Erbgutes nachweisen. Muskelreflexe lassen sich durch eine Reizung der jeweiligen Muskulatur auslösen und überprüfen. Dazu wird mittels eines Reflexhammers leicht auf spezielle Sehnen, zum Beispiel im unteren Bereich der Kniescheibe, geklopft.

Behandlung / Therapie

Die Behandlung der spinalen Muskelatrophie ist sehr schwierig und komplex, da eine ursächliche Behandlung nicht möglich ist. Deshalb liegt das Augenmerk vor allem in einer Verbesserung und Erhaltung der bisherigen muskulären Fähigkeiten. Treten Schmerzen auf, sollten diese gelindert und eventuell im Rahmen einer speziellen Schmerztherapie behandelt werden.

Der größte Behandlungserfolg wird durch eine Kombination von Behandlungen verschiedenster Fachrichtungen erzielt. Dazu zählen die Physiotherapie, die Logopädie und die Schmerztherapie. Durch die Physiotherapie kann die Muskulatur, mittels spezifischer Übungen sowie durch den Einsatz von Geräten zur Nerven – und Muskelreizung, gekräftigt werden. Gleichzeitig wird eine Verbesserung der Ausdauer angestrebt. Die Logopädie fördert vor allem bei Kindern das Erlernen des Sprechens, aber auch Erwachsene profitieren von den logopädischen Übungen. Der gezielte Einsatz der Atemmuskulatur sowie der Kau – und Schluckmuskulatur wird ebenfalls trainiert.

Eine Schmerztherapie sollte als begleitende Therapieform durchgeführt werden. Bei sehr starken Schmerzen kann eine Behandlung mit Medikamenten notwendig sein. Zusätzlich werden spezielle Atem – und Entspannungsübungen vermittelt, die bei aufkommenden Schmerzen eingesetzt werden können. Alle Behandlungsformen bzw. Therapien sollten regelmäßig und konsequent durchgeführt werden.

Operationen, besonders im Bereich der Wirbelsäule, können zur Verbesserung der Beweglichkeit sinnvoll sein. Zur Unterstützung im Alltag können Hilfsmittel wie zum Beispiel orthopädische Schuhe, Geh –und Stehhilfen, Sitzschalen, Rollstühle oder Treppenlifte eingesetzt werden.

Bei Atembeschwerden kann eine nächtliche Beatmung mit Hilfe von Gesichtsmasken (Atemmasken) eingesetzt werden. Welche Hilfsmittel für den Patienten sinnvoll sind, muss in Absprache mit den betreuenden Ärzten und Therapeuten entschieden werden.

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Prognose

Die spinale Muskelatrophie ist nicht heilbar. Die Prognose richtet sich nach dem Erkrankungstyp. Mittels unterschiedlicher Behandlungsformen kann der Krankheitsverlauf verlangsamt und die Lebensqualität verbessert werden. Momentan gibt es keine wirksamen Medikamente, dennoch ist die medikamentöse Behandlung Gegenstand der medizinischen Forschung.

Lebenserwartung

Die Lebenserwartung ist von der Schwere, vom Verlauf und vom Erkrankungstyp abhängig. Umso später die Erkrankung auftritt, desto höher ist die Lebenserwartung. Bei einem milden Verlauf kann ein Leben bis ins Erwachsenenalter erreicht werden. Zur Erhaltung der Beweglichkeit sollte ein konsequentes, regelmäßiges Training der Muskulatur und des Körpers erfolgen.

Weiterführende Informationen

Weitere Informationen finden Sie auf folgenden Seiten:

Autor: Dr. Nicolas Gumpert Veröffentlicht: 02.06.2017 - Letzte Änderung: 06.11.2021