Verlauf der Multiplen Sklerose

Einleitung

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch verlaufende Entzündungskrankheit des zentralen Nervensystems. Dieses setzt sich aus Gehirn und Rückenmark zusammen und ist bekannterweise für die Steuerung jeglicher Körperfunktionen zuständig. Multiple Sklerose ist immer noch eine nicht heilbare Erkrankung. Obwohl enorme Mittel für die Forschung bereitgestellt werden, konnte bislang weder die Ursache, noch eine Therapiemöglichkeit herausgefunden werden. Lediglich der Verlauf kann durch verschiedene Behandlungsansätze positiv beeinflusst werden. Der Verlauf kann sich bei unterschiedlichen Patienten verschieden darstellen und wird in drei Hauptformen unterteilt.

Verlaufsformen

Die unterschiedlichen Verlaufsformen der multiplen Sklerose lassen sich in drei Gruppen unterteilen.
Bei zwei der drei Formen treten sogenannte Schübe auf. Ein Schub unterliegt bestimmten Kriterien. Es treten innerhalb von Stunden bis Tagen neue oder Symptome auf, die mit einer erneuten Schädigung im Nervensystem zusammenhängen. Die Symptomatik muss länger als einen Tag anhalten. Um zwei Schübe voneinander unterscheiden zu können, muss ein Monat (genauer 30 Tage) zwischen den Ereignissen liegen. Ein Schub hat eine variable Dauer von mehreren Tagen, kann aber auch einige Wochen lang bestehen.

  1. schubförmiger Verlauf:
    Die häufigste Verlaufsform stellt die sogenannte schubförmig remittierende (zurückbildende) multiple Sklerose (RR-MS) dar. Bei dieser Form treten unvorhersehbare Krankheitsschübe auf, bei denen neue Symptome auftreten oder sich bereits bekannte verschlimmern. Die Symptome bilden sich am Anfang der Erkrankung oftmals gänzlich zurück. Erst im späteren Verlauf bleiben nach einem Schub Restsymptome bestehen, die dauerhafter verbleiben.

  2. sekundär progredienter Verlauf:
    Eine weitere Verlaufsform, welche der vorherigen sehr ähnlich ist, wird als sekundär progrediente (voranschreitende) multiple Sklerose bezeichnet. Auch bei dieser Form kommt es zum schubartigen Voranschreiten der Krankheit. Jedoch verschlechtern sich hier die neurologischen Funktionen stetig und zwar ohne den Auftritt von Krankheitsschüben. Die Schübe lagern sich auf den voranschreitenden Krankheitsverlauf zusätzlich auf und verursachen somit eine insgesamt verstärkte Symptomatik. Der Verlauf wird deshalb als sekundär bezeichnet, weil das klinische Bild nicht nur durch den zeitlichen Verlauf fortschreitet. Oftmals entsteht während der langjährigen Erkrankung aus der schubförmig remittierenden MS diese Verlaufsform.

  3. primär progredienter Verlauf:
    Die primär progrediente (voranschreitende) multiple Sklerose zeichnet sich durch einen schleichenden Verlauf aus, bei dem keine Krankheitsschübe auftreten. Die langsam fortschreitende Symptomatik bildet sich nicht mehr zurück. Besonders bei alten Patienten wird diese Verlaufsform beobachtet.

Lesen Sie mehr unter Multiple Sklerose Diagnose

Endstadium der Multiplen Sklerose

Ein konkretes Endstadium existiert bei der multiplen Sklerose nicht. Die Ausprägung der Symptome ist von Patient zu Patient unterschiedlich. Somit ist auch das klinische Bild der MS im Zeitraum vor dem Tod des Patienten verschieden. Je mäßiger der Verlauf und je besser die Betreuung ist, desto wahrscheinlicher ist ein Ausbleiben eines Zustands der als Endstadium bezeichnet werden könnte. Auch schwerere Verläufe bleiben heutzutage durch moderne medikamentöse Therapieansätze weitestgehend im Rahmen.

Wenn man aber ein Endstadium beschreiben müsste, würde sich dieses wahrscheinlich durch extreme Symptome darstellen. Die multiplen (vielen) Läsionen, die während des Krankheitsverlaufs im Gehirn und im Rückenmark entstanden sind, bringen umfassende und vielseitige Einschränkungen mit sich. Bewegung fällt schwer oder ist gar nicht mehr möglich. Es bestehen schwere Empfindungsstörungen und eventuell hat der Patient Schmerzen. Auch die Sprache verändert sich, da keine geordnete Koordination der Gesichtsmuskulatur mehr möglich ist. Dies kann so weit gehen, dass die Fähigkeit zu Sprechen gänzlich verloren geht. Im späten Verlauf kann es auch zu einer Demenz kommen, die eine Folge des Abbaus der Gehirnmasse ist.

Lebenserwartung

Die Symptomatik stellt sich bei jedem Patienten unterschiedlich dar, nimmt aber großen Einfluss auf die Sterblichkeit. Bestehen keine schwergradigen Behinderungen durch die Nervenschäden, kann die Lebenserwartung annähernd an die einer gesunden Vergleichsperson reichen. Häufig versterben MS-Patienten einige Jahre früher. Bestehen schwere Behinderungen oder werden lebenswichtige Zentren im Hirn (Hirnstamm) durch die Entzündung zu stark geschädigt, kann es auch früher zum Tode des Patienten kommen. Dabei ist jedes Alter möglich, indem die Krankheit besteht – von 20 bis 70 Jahre, wobei ein früher Tod extrem selten eintritt. Ein besonderes Beispiel, welches mit einem frühzeitigen Tod und einer geringen Lebenserwartung vergesellschaftet ist, ist die sogenannte Marburg-Variante der multiplen Sklerose. Diese Form ist durch einen extrem aggressiven Verlauf mit schwersten Behinderungen charakterisiert, tritt aber äußerst selten auf.

nach 10 Jahren

Wie sich die multiple Sklerose nach 10 Jahren Erkrankungsdauer darstellt, ist individuell unterschiedlich. Auch nach einem solchen Zeitraum ist es bei einer regelrechten Behandlung der Schübe und einer umfassenden Betreuung möglich symptomfrei zu sein. Auch lassen sich keine Symptome bestimmen, die bei allen Patienten nach 10 Jahren aufgetreten sind oder bestehen. Es gibt allerdings Symptome, die oftmals zu Beginn der Erkrankung auftreten und somit ein Vorliegen nach 10 Jahren Krankheit wahrscheinlicher machen. Beispielsweise können die Nerven, die die Augenmuskeln steuern geschädigt sein, was zu Doppelbildsehen (Schielen) führt. Es kann zu Empfindungsstörungen im Gesicht oder an den Gliedmaßen kommen. Auch eine ungenaue Aussprache, Heiserkeit oder Schluckbeschwerden können als Symptome einer langjährigen MS vorliegen. Nach 10 Jahren sind viele Reflexe abgeschwächt und nur noch schwer auslösbar. Außerdem kann sich die Verlaufsform der multiplen Sklerose nach 10 oder 15 Jahren Krankheit verändern. So wurde in Vergangenheit beobachtet, dass sich bei manchen Patienten, die an einer schubförmig remittierenden MS gelitten haben, plötzlich eine progrediente Komponente einstellt. Die somit entstehende sekundär progrediente MS geht mit vermehrt bestehenden Symptomen einher.

Prognose

Wenn die multiple Sklerose diagnostiziert wird, ist es durch den individuell sehr unterschiedlichen Krankheitsverlauf kaum möglich, eine definitive Prognose zu stellen. Diese Ungewissheit kann zwar belastend sein, jedoch sollte der große Anteil von positiven Verläufen im Fokus der Patientenaufklärung stehen. Durch den Schweregrad der Erstsymptomatik kann eine Tendenz abgeschätzt werden, die sich in der Regel als zutreffend erweist. Auch wenn kein vollkommener Verlass darauf ist, kann bei anfänglich mäßigem Krankheitsbild von einer guten Prognose ausgegangen werden. Die Lebenserwartung ist bei guter Langzeit- und Schubtherapie kaum eingeschränkt. Die multiple Sklerose ist keinesfalls ein Todesurteil, jedoch muss verantwortungsvoll mit der Diagnose umgangen werden – von Seiten des Arztes, als auch des Patienten.

Sterblichkeit bei Multipler Sklerose

Bei der multiplen Sklerose (MS) handelt es sich um keine prinzipiell tödliche Erkrankung. Viele Patienten werden trotz MS über 70 Jahre alt. Der Tod kann durch die Folgen der Symptomatik auftreten. So kann es passieren, dass MS-Patienten im hohen Alter die Fähigkeit verlieren, sich effizient zu Bewegen. Dadurch werden sie häufig bettlägerig, was auch bei anderen Erkrankungen im Alter der Fall sein kann. Bettlägerigkeit ist mit einem erhöhten Risiko für Lungenentzündungen vergesellschaftet, an denen ältere und immungeschwächte Patienten versterben können.

Der durch die Einschränkungen entstehende Leidensdruck, welcher sich über den langjährigen Verlauf unter Umständen aufbaut, kann psychische Schäden beim Patienten hinterlassen. Eine resultierende Depression und Lebenskrise könnte den Patienten eventuell in den Suizid treiben. Auch eine psychologische Betreuung spielt in der Behandlung chronisch Kranker eine wichtige Rolle. Der Großteil aller MS-Patienten stirbt also an einem natürlichen Tod oder an anderen Erkrankung. In den seltensten Fällen ist eine durch die MS entstandene Läsion im Gehirn für den Todeseintritt verantwortlich. Dabei muss der Schaden relativ groß sein und in einem Hirnareal bestehen, von welchem lebenswichtige Prozesse aus gesteuert werden.

Kann man die Multiple Sklerose stoppen?

Da noch keine Behandlungsmethode existiert, welche die multiple Sklerose gänzlich heilt, konzentrieren sich die Therapiemöglichkeiten hauptsächlich darauf, den Verlauf zu verlangsamen oder gar zum Stillstand zu bringen. Im Rahmen dieses Therapieziels wurden verschiedene Medikamente entwickelt, die sowohl die Rate an Schüben reduzieren, als auch den progrienten Verlauf verlangsamen. Folgend sind drei Beispiele aufgeführt.

Glatirameracetat: Hierbei handelt es sich um eine Verbindung, die sich aus vier natürlichen Aminosäuren zusammensetzt. Durch die tägliche Injektion unter die Haut (zum Beispiel am Bauch ins Fettgewebe, wie Insulinspitzen) kommt es seltener zu schubartigen Entzündungsereignissen. Bei dauerhafter Behandlung sind nach 6 Jahren Krankheitsverlauf ein Viertel der behandelten Patienten gänzlich schubfrei. Wird die Langzeittherapie fortgeführt, entstehen bei 75% der Patienten keine neuen bleibenden Symptome.

Beta-Interferon: Hierbei handelt es sich um eine Eiweißverbindung, die auch von körpereigenen Zellen produziert werden kann. Interferone sind Vermittler des Immunsystems und steuern verschiedene Prozesse. So bringen sie auch die Entzündungen bei einer MS unter Kontrolle und verlängern dadurch die symptomfreien Phasen zwischen den deutlich seltener auftretenden Krankheitsschüben. Beta-Interferon wird ein bis drei Mal in der Woche unter die Haut oder in den Muskel (wie bei einer Impfung) injiziert.

Natalizumab: Bei diesem Medikament handelt es sich um einen sogenannten monoklonalen Antikörper. Das ist ein im Labor entwickelter Antikörper, ähnlich denen, die auch das körpereigene Immunsystem produziert. Anstatt bestimmte Krankheitserreger oder fremde Substanzen anzugreifen, bindet es an Zellen der Immunabwehr. Damit verhindert es, dass diese Zellen ins zentrale Nervensystem einwandern und eine Entzündung verursachen. Die Schubrate wird somit um 60 – 70 % vermindert. Bei Natalizumab handelt es sich um ein sehr starkes Medikament mit durchaus gefährlichen Nebenwirkungen. Deshalb kommt es nur bei besonders schweren MS-Verläufen zum Einsatz.

Weitere Informationen zu Therapie Therapie der Multiplen Sklerose

Triggerfaktoren für MS

Triggerfaktoren sind Ereignisse oder Umstände, die eine Verschlechterung des Krankheitszustands herbeiführen können und somit den Verlauf negativ beeinflussen. Bei der multiplen Sklerose werden solche Verschlechterungen als Schübe sichtbar. Ein sehr wichtiger Faktor sind Infektionserkrankungen. Erkrankt ein MS-Patient an einer Grippe oder Magen-Darm-Krankheit, so kann die unmittelbare Folge ein Krankheitsschub sein.

Zwar stellt die Schwangerschaft einen schützenden Faktor dar, jedoch ist das Schubrisiko in den ersten drei Monaten nach der Geburt des Kindes erhöht. Ob der psychische Zustand des Patienten einen Einfluss auf die Schubwahrscheinlichkeit hat, wird momentan noch diskutiert. Es scheint einen Zusammenhang zu geben, dies wird in aktuellen Studien untersucht.

Autor: Dr. Nicolas Gumpert Veröffentlicht: 16.11.2016 - Letzte Änderung: 06.11.2021