Akustikusneurinom

Definition

Der häufigste Tumor des Innenohrs ist das Akustikusneurinom. Andere Bezeichnungen dafür lauten Kleinhirnbrückenwinkeltumor und Vestibularisschwannom.

Dabei handelt es sich um ein Neurinom bzw. Schwannom im inneren Teil des Gehörganges oder ein Neurinom im Kleinhirnbrückenwinkel. Bei einem Neurinom bzw. Schwannom handelt es sich um einen gutartigen und meist langsam wachsenden Tumor. Er geht aus von den Schwann‘schen Zellen. Das sind die Zellen, die die Umhüllung der peripheren Nerven bilden, also den Nervenfasern die nicht im Rückenmark und Gehirn liegen.
Diese Umhüllung der Nervenfaser ist relevant für die Stützung der Nervenzelle und außerdem für ihre Myelinisierung. Durch die Myelinisierung kann die Nervenfaser elektrische Signale schneller, mit weniger Verlust und damit über weitere Strecken leiten. Aber eben von diesen Zellen kann bei übermäßiger Proliferation (Wachstum) ein Tumor ausgehen.

Je nachdem an welcher Stelle so ein Tumor entsteht wird er unterschiedlich bezeichnet und verursacht unterschiedliche Symptome. Eine große Gemeinsamkeit von den meisten Akustikusneurinom ist jedoch, dass wie ihr Name schon sagt, ihr Ausgangspunkt der Hörnerv (Nervus vestibularis) ist.

Funktion des Hörnerves

Der Nervus vestibularis liegt über einen großen Teil seines Verlaufes zusammen mit dem Nervus cochlearis. Zusammen bilden sie den Nervus vestibulocochlearis, den achten Hirnnerven.

Der Nervus vestibularis ist der Nerv, der das Gleichgewichtsorgan innerviert. Das heißt, dass er Informationen von dem Gleichgewichtsorgan zu anderen Strukturen im Gehirn transportiert um eine Verknüpfung aller Reize, die der Mensch wahrnimmt, zu ermöglichen.
Das Gleichgewichtsorgan befindet sich im Innenohr. Dabei handelt es sich um drei Bogengänge und zwei Maculaorgane über die der Organismus Bewegungen wahrnehmen und Einordnen kann.
Da es drei Bogengänge gibt, die fast senkrecht zu einander stehen, können alle drei Ebenen des Raumes und Bewegungen in ihnen wahrgenommen werden, wie z.B. das Drehen des Kopfes.
Durch die Maculaorgane werden Informationen über Linearbeschleunigungen weitergegeben, wie die Erdanziehungskraft, beim Bremsen und Beschleunigung in Fahrzeugen und auch bei einem Sturz.

Normalerweise wird aus den elektrischen Signalen, die über den linken und rechten Nervus vestibularis ins Gehirn gelangen, ein Bild über die Lage, Position und Bewegung des Körpers im Raum gebildet.
Bei Ausfällen und Verletzungen gelangen fehlerhafte bzw. keine Informationen von dem jeweiligen Gleichgewichtsorgan mehr ans Gehirn und führen dazu, dass falsche Schlüsse von den verarbeitenden Zentren im Gehirn getroffen werden.

Der andere Anteil des achten Hirnnerven ist der Nervus cochlearis. Dieser innerviert die Innenohrschnecke. Dabei handelt es sich um ein knöchernes schneckenhaus-artiges Gerüst, welches für das Hörvermögen zuständig ist.
Sollte dieser Nerv verletzt werden, werden möglicherweise keine Informationen mehr an das Gehirn geleitet.

Einteilung

Die Einteilung von Akustikusneurinomen ist nach zwei Systemen möglich.

Nach Wigand werden drei Stadien von A bis C benannt:

  • Stadium A: im inneren Gehörgang, kleiner als 8mm im Durchmesser
  • Stadium B: wächst bis in den Kleinhirnbrückenwinkel, Durchmesser zwischen 9- 25mm
  • Stadium C: wächst bis an den Hirnstamm, größer als 25mm

Nach Samii werden sechs Typen eingeteilt:

  • T1: nur im inneren Gehörgang
  • T2: wächst im und außerhalb des Gehörganges
  • T3a: wächst in den Raum zwischen Kleinhirn und Hirnstamm
  • T3b: steht im Kontakt zum Hirnstamm
  • T4: der Hirnstamm wird komprimiert
  • T4b: zusätzlich werden der Teile der Liquorräume verlegt (4. Ventrikel)

Symptome

Ja nachdem an welcher Stelle sich das Akustikusneurinom bilden sich andere Symptome aus.

Bei Lage des Tumors intrameatal, also im inneren Gehörgang, ist primär der Nervus vestibulocochlearis betroffen.
Frühes Symptom ist einseitige Schwerhörigkeit, die sich oft langsam und schleichend bemerkbar macht. Pateinten bemerken diese Hörminderung nicht selten erst bei Routineuntersuchungen beim Arzt. Oft macht sie sich auch beim Telefonieren bemerkbar – die Hörermuschel muss auf der betroffenen Seite noch näher ans Ohr gehalten werden bzw. der Gesprächspartner wird nur noch sehr schlecht gehört. Weiterhin werden höhere Töne verschlechtert wahrgenommen.
Bei einem Akustikusneurinom kann außerdem ein Hörsturz auftreten. Dabei handelt es sich nicht um eine schleichende Hörminderung, sondern um einen plötzlich auftretenden einseitigen Hörverlust. Dieser heilt meistens spontan wieder aus. Sollten jedoch wiederholt weitere Hörsturze auftreten kann das ein Zeichen für ein Akustikusneurinom sein, welches die Durchblutung des Innenohres stört.
Ein weiteres und manchmal auch das einzige Symptom ist das Ohrensausen bzw. Ohrgeräusche (Tinnitus). Hierbei kann aber muss keine Hörminderung von Beginn an mit einhergehen, wobei diese sich durchaus im weiteren Verlauf auftreten kann.
Schwindel und Gleichgewichtsstörungen treten durch Abdrücken des Nervus vestibularis auf, wobei diese meist nicht in Ruhe, sondern zunächst nur bei Belastung auftreten.
Der Schwindel zeigt sich z.B. bei Laufen in Dunkelheit oder durch Schwanken. Seltener sind plötzliche Schwindelattacken oder Dauerschwindel bei Ruhe.

In späteren Phasen wenn sich der Tumor ausbreitet oder er extrameatal (außerhalb des Gehörganges) liegt, z.B. im Kleinhirnbrückenwinkel (KBW), zeigen sich weitere Symptomkomplexe.
Durch das oft sehr langsame Wachstum des Akustikusneurinoms kann sich das Gehirn auf die Situation einstellen und die Symptome des Ausfalls über einen längeren Zeitraum reduzieren.
Der Kleinhirnbrückenwinkel ist die die Bezeichnung für einen schmalen Raum zwischen dem Kleinhirn (Cerebellum) und dem Hirnstamm (Truncus cerebri).
Hier laufen neben dem Nervus vestibulocochlearis auch andere Nerven, wie der Nervus facialis und der Nervus trigeminus entlang.

Bei Störungen des Nervus facialis (7.Hirnnerv) kommt es zu Ausfällen im Gesichtsbereich. Die Gesichtsmuskulatur wird durch den Nervus facalis innerviert, sodass es bei einem Akustikusneurinom auch zu Lähmungen dieser Muskeln kommen kann. Oft zeigt sich zunächst eine Schwäche der Augenschließermuskeln (Lidschluss-Schwäche des Musculus orbicularis oculi).
Weiterhin findet über den Nervus facialis auch die Innervation der Tränendrüsen und der Mundspeicheldrüsen statt, sodass auch die Produktion an den Tränenflüssigkeit und Speichel beeinträchtigt sein kann.
Außerdem leitet ein Anteil des Nervus facialis, die Chorda tympani, die Geschmackswahrnehmung aus den vorderen zwei Dritteln der Zunge, sodass in selteneren Fällen Patienten auch über Probleme beim Schmecken klagen können.
Die sensible Wahrnehmung im äußeren Gehörgang erfolgt durch einen der Äste des Nervus facialis, dem Nervus auricularis posterior, sowie dem Ramus auricularis nervi vagi, einem Ast des Nervus vagus (10. Hirnnerv). Bei einem Akustikusneurinom können diese Nervenäste abgedrückt werden, und zu einem Sensibilitätsausfall im äußeren Gehörgang führen. Die klinische Bezeichnung dafür lautet Hitselberger-Zeichen.

Als dritter Nerv liegt der Nervus trigeminus im Kleinhirnbrückenwinkel. Er ist für die sensible Versorgung der Gesichtshaut zuständig. Sollte er abgeklemmt werden kann es zu Ausfällen der Empfindung im Gesicht kommen. Außerdem läuft über ihn der Kornealreflex, welcher bei Akustikusneurinomen gemindert oder fehlend sein kann. Dieser Reflex beschreibt den Vorgang, dass bei Berührung der Hornhaut am Auge (Kornea) ein reflexartiger Verschluss des Auges stattfindet. Die Wahrnehmung einer Berührung erfolgt über den Nervus trigeminus.

Weitere spätere Symptome betreffen weitere in der Region liegende Hirnnerven, wie den Nervus vagus und glossopharyngeus (9.Hirnnerv). Sollten sie betroffen sein können Schluckstörungen und weitere Geschmacksausfälle Teil der Symptome sein.

Sollte das Akustikusneurinom nicht entdeckt werden bzw. doch schnell wachsen kann es Größen annehmen die lebensbedrohliche Konsequenzen mit sich bringen.
Die Lage im Kleinhirnbrückenwinkel macht ein Akustikusneurinom im den Sinne gefährlich als dass der Hirnstamm in unmittelbares Nähe liegt.
Im Hirnstamm befinden sich lebenswichtige Zentren für Atmung, Aufmerksamkeit und Wachheit des Organismus (ARAS, aufsteigendes retikuläres aktivierendes System), Kreislaufmodulation (Steigerung und Senkung des Blutdrucks) und motorische Aktivität (Teile des extrapyramidalen Systems, welches wichtig für die Modulation und Kontrolle von Signalen für unterschiedlichste Muskelgruppen ist).
Sollte das Akustikusneurinom so groß werden, dass diese Zentren abgedrückt werden, dann ist das nicht mit dem Leben vereinbar.

Außerdem birgt ein Akustikusneurinom die Gefahr Abflusswege von Hirnflüssigkeit (Liquor) zu verschließen. Der Liquor ist eine Flüssigkeit, die sich im Gehirn in speziell dafür vorgesehenen Räumen befindet, den Liquorräumen. Dabei herrscht ein sehr präziser Prozess von Neuproduktion und Abfluss dieser Flüssigkeit. Sollte dieser Abfluss, z.B. bei einem Akustikusneurinom, verhindert sein, kommt es zu einem Aufstau der Flüssigkeit und damit zu einem Druckanstieg im Gehirn.
Es entsteht ein Hydrocephalus (Wasserkopf). Dieser macht sich in (schwallartigem) Erbrechen, Kopfschmerz und einer Stauungspapille (durch die vermehrte Flüssigkeit bildet sich eine Schwellung im inneren Auge aus) bemerkbar. Weiterhin kann es zu Bewusstseinsstörungen und Koma kommen.

Diagnose

Zu Beginn der Diagnose steht wie an anderen Stellen auch die Anamnese, das Gespräch mit dem Patienten. Anhand der beschriebenen Symptome kann ein Facharzt relativ schnell die Verdachtsdiagnose eines Akustikusneurinoms stellen.

Anhand von verschiedenen Tests kann diesem Verdacht nachgegangen werden.

Zum einen kann über Hörtests bestimmt werden, ob subjektiv eine Hörminderung vorliegt. Dabei werden Töne unterschiedlicher Frequenz und Lautstärke abgespielt. Anhand der Schwellen für das Wahrnehmen der Töne kann der behandelnde Arzt eine Übersicht über die Hörwahrnehmung erstellen und abschätzen inwieweit es sich um einen normalen oder krankhaften Zustand handelt.

Im nächsten Schritt kann die Reizleitung der Hörnerven überprüft werden. Dabei werden dem Patienten verschiedene Töne computergesteuert abgespielt. Über Elektroden am Kopf kann gemessen werden, inwieweit Signale über den Nervus cochlearis weitergeleitet werden und ob diese im Gehirn angelangen. Durch die Messung der geleitet Signale kann erkannt werden, ob Schäden und Leitungsproblem am Hörnerv vorliegen. Der Vorteil dieser Methode ist, dass hier unabhängig von der subjektiven Wahrnehmung des Patienten gearbeitet werden kann. Diese Methode heißt BERA (brain stem electic response audiometry). Verlängerte Leitzeiten weisen auf Schäden hin.

Zum anderen kann die Funktion des Gleichgewichtsorgans überprüft werden. Dabei wird untersucht inwieweit ein Nystagmus auslösbar. Ein Nystagmus ist eine ruckartige Bewegung im Auge, die durch Reaktionen im Gleichgewichtsorgan gesteuert werden. Man selber kann diesen Prozess gut in einem fahrenden Zug wahrnehmen. Das Auge fixiert ein Objekt und bewegt sich schnell in Richtung der Fahrtrichtung wenn das Objekt verschwindet und fixiert ein neues Objekt.
Dieser Nystagmus kann künstlich ausgelöst werden, wenn das Ohr mit warmer Flüssigkeit gespült wird. Dann wird ein separater Teil des Gleichgewichtsorgans, einer der Bogengänge, gereizt und zieht eine reflexartige Augenbewegung mit sich zieht.
Sollte die Reaktion am Auge ausfallen oder auf den beiden Seiten unterschiedlich ausfallen, ist das ein gutes Anzeichen dafür, dass Schäden am Gleichgewichtsorgan vorliegen. Die Bewegungen am Auge werden durch das Nutzen einer Frenzelbrille am Patienten sichtbar gemacht. Dabei handelt es sich um eine Brille, die der Patient aufsetzt, mit sehr stark brechenden Gläsern, die verhindern dass der Patient Gegenstände in der Umgebung fixieren kann, wodurch sich das Ergebnis verfälschen würde.
Eine ähnliche Möglichkeit das Gleichgewichtsorgans zu reizen liegt darin den Patient auf einen Drehstuhl zusetzen und die Augenbewegungen zu beobachten, ebenso wie nach dem Abrupten Stoppen der Drehbewegung. Auch hier wird eine Frenzel Brille verwendet um die Bewegungen besser darstellen zu können.
Bei beiden Methoden weisen Ausfälle und Unerregbarkeit von einem Nystagmus oder das Auftreten eines Spontannystagmus (ohne Reiz) auf mögliche Schäden hin.
Weiterhin kann das Gleichgewichtsorgan über verschiedene Geh- und Stehversuche getestet werden.

Die eigentliche Darstellung des Akustikusneurinoms ermöglicht jedoch das MRT vom Kopf (Kernspin) mit Kontrastmittel. Dabei kann über sehr dünne Schnitte die ganze Region im Bereich von Innenohr und Kleinhirnbrückenwinkel sehr präzise darstellt werden. Hier fallen schon sehr kleine Tumoren im Bereich von wenigen Millimetern auf. Durch das Kontrastmittel können Veränderungen im Gewebe gut sichtbar gemacht werden, da z.B. Tumoren eine andere Aufnahme von Kontrastmittel haben.
Weiterhin kann ein CT (Computertomographie) vom Schädel gemacht. Hier stellen sie die Weichteile nicht so gut wie im MRT vom Kopf dar, aber die knöcherne Umgebung kann gut darstellt werden.

Therapie

Die Operation eines Akustikusneurinoms ist eine Möglichkeit der Therapie.

Dabei können auch Tumoren, die im inneren Gehörgang liegen entfernt werden. Sollte die Hörfunktion noch erhalten sein, wird versucht diese auch zu erhalten. In diesem Fall wird der Schädel von der Seite über das Os temporale (Schläfenbein) geöffnet – der transtemporale Zugang.
Risikopotential birgt dieser Weg dadurch, dass Teile des Nervus facialis (Gesichtsnerv) freigelegt und möglicherweise geschädigt werden.

Sollte der Patient das Hörvermögen auf der betroffenen Seite schon verloren haben, dann wird direkt über das Ohr operiert. In diesem Fall findet eine translabyrinthäre Operation statt bei der das Innenohr im Zuge der Operation komplett entfernt wird. Dieser Zugangsweg reduziert das Risiko andere Nerven zu schädigen.

Bei sehr großen und in den Kleinhirnbrückenwinkel gewachsenen Tumoren wird von suboccipital operiert. Dabei wird der Knochen hinter dem Ohr aufgetrennt und ein Zugang in die Schädelhöhle geschaffen über den der Operateur den Tumor entfernen kann. Über diesen Weg ist eine Erhaltung der Hörfunktion möglich.

Weitere Informationen

Weitere Informationen finden Sie unter:

Autor: Dr. Nicolas Gumpert Veröffentlicht: 22.05.2015 - Letzte Änderung: 06.11.2021