Legasthenie

Synonyme im weiteren Sinne

Legasthenie, Dyslexia, Dyslexie isolierte oder umschriebene Lese-RechtschreibSchwäche, Lese- Rechtschreibstörung, LRS, Teilleistungsschwäche, Teilleistungsstörung

Definition

Der Begriff “Legasthenie” stammt aus dem Griechischen und bedeutet sinngemäß übersetzt etwa: Leseschwäche
Ausgehend von dieser Definition ergaben sich in der Historie verschiedene Ansatzpunkte, die die Ursache und den Umgang mit dieser Problematik zu regeln versuchten. Aus der Betrachtung der Historie heraus ergeben sich die veränderten Bezeichnungen (Legasthenie, LRS, Lese- Rechtschreibschwäche) und Sichtweisen.

Häufigkeit

Lese- und Rechtschreibschwächen findet man überall dort, wo eine Schriftsprache erlernt wird.
Man geht davon aus, dass etwa 8% bis 12% aller Menschen in drei verschiedenen Problemstufen (schwer / mittel / leicht) an einer Lese- Rechtschreibschwäche leiden.
Die Geschlechterverteilung belegt das Auftreten dieser Lese- Rechtschreibschwäche im Verhältnis von etwa 1 : 3 zu Ungunsten der Jungen, wobei man davon ausgeht, dass dies auf eine unterschiedliche Motivationslage zurückzuführen ist und nicht wie vielfach angenommen auf eine geschlechtsspezifische Neigung zu Entwicklungsverzögerungen oder ähnlichem.
Auch Kombinationen mit einem ADS, bzw. ADHS sind denkbar. Dabei kann eine Lese- Rechtschreibschwäche aufgrund des ADS bzw. ADHS verursacht werden, die Ursache für ein ADS bzw. ADHS liegt allerdings nicht in einer Lese- Rechtschreibschwäche begründet.

Unterschied zur LRS

Eine Legasthenie kann - anders als die Lese- Rechtschreibschwäche - in Form einer Teilleistungsschwäche darüber hinaus auch im Falle einer vorliegenden Hochbegabung auftreten.
Liegt beim Kind auch eine Rechenschwäche vor, kann in der Regel die Legasthenie als Teilleistungsstörung ausgeschlossen werden. Das gleichzeitige auftreten von Dyskalkulie und Legasthenie kann ausgeschlossen werden. Bei beiden Lernproblemen handelt es sich ja um Teilbereiche, die von einer Lernproblematik betroffen sind. Sobald Probleme in beiden Lernbereichen auftreten, ist nicht mehr nur ein Teil (Teilleistungsschwäche) von einem Problem betroffen.
Eine Rechenschwäche und eine Lese- Rechtschreibschwäche sind denkbar, denn das Kind weist dann im Unterricht generelle Schwächen auf.

Lesen Sie hier mehr zum Thema: Lernschwächen bei Kindern

Symptome der Legasthenie

Symptome sind generell individueller Natur und müssen im Einzelfall betrachtet und beurteilt werden.

Wir unterscheiden zwischen:

  • Den primären Erscheinungsformen der Lese- Rechtschreibschwäche / Legasthenie
  • Den sekundären Erscheinungsformen der Lese- Rechtschreibschwäche / Legasthenie

Wenn Sie mehr über die symptomatischen Erscheinungen erfahren möchten, klicken Sie bitte hier: Symptome der Legasthenie

Begleitende Symptome

Bei Kindern, die unter Legasthenie leiden, können Begleitsymptome, wie zeitweise Unaufmerksamkeit beobachtet werden. Diese kann durch eine gestörte Sinneswahrnehmung, aber auch durch nicht auf das Kind zugeschnittene Lernmethoden hervorgerufen werden.  Darüber hinaus leiden auch einige Kinder unter Konzentrationsstörungen, was bedeutet, dass einige Tätigkeiten nur kurz oder oberflächlich durchgeführt werden. Dabei ist wichtig zu erwähnen, dass die Konzentrationsschwäche in aller Regel nur bei Schreib- und Leseaufgaben besteht, mit anderen Tätigkeiten kann sich das Kind sowohl intensiv, als auch ausdauernd befassen.

Des Weiteren leiden Kinder, die unter Legasthenie leiden, häufig über eine mangelnden Motivation die Schule zu besuchen. Dies kann sogar bis zu einer Schulangst führen. Grund hierfür liegt meistens in der  schulischen Überforderung, welche dem Kind die Lust am Unterricht und Lernen nimmt.

Die Kinder weisen meistens in mehreren Fächern auffallend schlechte Noten auf und nicht nur in Sprachen. Dies liegt am schlechten Textverständnis. Darüber hinaus ist es möglich, dass Kinder, die unter Legasthenie leiden, ein sehr geringes Selbstwertgefühl haben, weil sie im schulischen Alltag häufig mit ihren Defiziten im Vergleich zu ihren Mitschülern konfrontiert werden. Bei den genannten Begleitsymptomen ist immer zu beachten, dass nicht jedes Kind mit der Diagnose Legasthenie auch diese Symptome zeigen muss.

Lesen Sie mehr zu dem Thema: Lernprobleme

Ursachen der Legasthenie

Auf unserer Seite Ursachen der Legasthenie beschreiben wir umfassend alle möglichen Ursachen, die zur Entstehung der Probleme im Lesen- und Rechtschreiben beitragen können. Dabei wird unterschieden zwischen

1. Sozialen Faktoren:

  • Ursachen im Bereich der Familie
  • Ursachen im Bereich der Schule

2. Konstitutionellen Ursachen:

Darunter versteht man alle Ursachen, die auf genetischer, körperlicher oder seelischer Ebene für die Entstehung einer Legasthenie in Frage kommen können.

Weitere Informationen zu den Ursachen: Ursachen der Legasthenie

Die Diagnose Legasthenie wird von einem Psychologen oder Kinder- und Jugendpsychiater festgestellt.
Es werden dazu verschiedene Testungen durchgeführt. Dazu gehört ein standardisierter Lese-Rechtschreibtest, eine neurologische und eventuell eine internistische Untersuchung, ein Seh- und Hörtest, Überprüfung der Motorik und eine Beurteilung von der Emotionalität, der Persönlichkeit und von dem Verhalten des Kindes. Des Weiteren wird häufig die Leserechtschreibschwäche mit der Intelligenz, durch einen Intelligenztest, verglichen. Es wird eine sogenannte Diskrepanzdiagnose gestellt, dies bedeutet, dass  das Kind eine deutlich geringere Lese-Rechtschreib-Leistung hat, als aufgrund der vorhandenen Intelligenz zu erwarten wäre. Aufgrund dieser Tests wird ein störungsspezifischer Therapieplan des Betroffenen erstellt.

Mehr hierzu: Diagnose der Legasthenie

Wie sieht ein Test auf Legasthenie aus?

Ein Test auf Legasthenie wird von einem Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie oder einem Kinder- und Jugendpsychotherapeut durchgeführt. Eine Weitere Testmöglichkeit bietet ein sozialpädiatrisches Zentrum. Eine Testung ist von besonders großer Relevanz, wenn Eltern für ihr Kind einen Nachteilsausgleich beantragen wollen.  Laut dem Bundesverband für Legasthenie werden folgende drei Bereiche bei einem Kind in der Testung untersucht.

Der erste Bereich befasst sich mit der Bewertung von der Schulleistung und dem Lernstand. Dazu zählen:

  • Leistungsstand
  • Noten
  • Leseverständnis
  • Lesegenauigkeit
  • Lesegeschwindigkeit
  • Rechtschreibung
  • und eine möglichst sprachfreie  Intelligenzdiagnostik.

Im zweiten Bereich wird die Gesamtentwicklung und es werden die Folgeprobleme begutachtet. Dazu zählen:

  • Sprachliche und motorische Entwicklung
  • Seh- und Hörleistung
  • Aufmerksamkeit
  • Konzentration
  • Sozialverhalten
  • seelische Belastungen und psychosomatische Beschwerde, wie zum Beispiel Bauch- oder Kopfschmerzen.

Im letzten Teilbereich werden Rahmenbedingungen und äußere Faktoren beurteilt. Dabei spielt die Art der Schule und die Unterrichtsqualität, Anzahl von Klassen- oder Schulwechseln, die schulische Motivation und die familiäre Situation eine entscheidende Rolle.

Lesen Sie mehr zu dem Thema: Früherkennung von Legasthenie

Welche unterschiedlichen Tests gibt es?

Für Legasthenie gibt es verschiedene Tests, die auf das Alter des Kindes und entsprechend auch das mögliche schulische Niveau zugeschnitten sind. Man muss jedoch erwähnen, dass es keinen Test gibt, der genau die Legasthenie diagnostiziert, sondern nur Tests, die die Symptomstärke anzeigen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die unterschiedlichen Tests immer eine der folgenden drei Gebiete oder eine Kombination daraus testen: 

  • Rechtschreibfähigkeit
  • Lesefähigkeit  
  • Intelligenz.

Aus diesem Grund existieren viele unterschiedliche Testungen auf dem Markt. Schon für Vorschüler gibt es Tests, wie zum Beispiel das Bielefelder Screening, damit sollen Risikokinder schon frühzeitig entdeckt werden. Häufig fallen die Schwierigkeiten, die die Legasthenie mit sich bringt, besonders in der Grundschule auf, entsprechend sind viele Testungen auf Grundschüler zugeschnitten. Ab der zweiten Klasse wird beispielsweise mit der Hamburger Schreibprobe ein guter Einblick in den Entwicklungsstand von der Sprache und Schrift gewonnen.

Ein genormter Test, der die Rechtschreibleistung untersucht und häufig angewandt wird,  ist der Salzburger Rechtschreibtest. Neben Tests für Grundschüler wurden auch Tests für die 5. bis 8. Klasse entwickelt. Für noch ältere Testpersonen existieren die sogenannten Erwachsenentestungen. Es sollte nur ein Test durchgeführt werden, der dem Alter entspricht, um keine Ergebnisse zu verfälschen.

Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Legasthenie und Dyskalkulie?

Häufig treten Legasthenie und Dyskalkulie gemeinsam bei einem Kind auf.  Bei Dyskalkulie handelt es sich um ein Verständnisproblem bei Grundrechenarten, dem Dezimalsystem und dem generellen Zahlenbegriff. Bei beiden Lernstörungen existieren oft Schwierigkeiten im Wahrnehmungsbereich. Solche Schwierigkeiten werden häufig als Ursache für Lernstörungen gesehen, jedoch bleibt unklar, ob es dabei einen Zusammenhang gibt, wenn beide Lernstörungen gemeinsam auftreten.

Eine weitere Gemeinsamkeit beider Störungen sind die Probleme beim Abrufen des Kurz- und Langzeitgedächtnisses. Es lässt sich zusammenfassen, dass es sich sowohl bei Legasthenie, als auch bei Dyskalkulie jeweils um eine Lernstörung handelt. Bei der  Diagnostik muss genau sichergestellt werden, ob die Probleme und Schwierigkeiten, die ein Kind hat, zwei Lernschwächen oder nur einer zugrunde liegen. So ist es beispielsweise möglich, dass Schüler im Mathematikunterricht wegen ihrer Legasthenie Probleme haben, ein altersgemäßes Niveau zu erreichen.

Lesen Sie mehr zu dem Thema: Dyskalkulie

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Intelligenz und Legasthenie?

Legasthenie und Intelligenz stehen in keinem wissenschaftlich nachgewiesenen Zusammenhang. Dies bedeutet, dass Kinder, die eine Legasthenie haben, bei einem Intelligenztest nicht schlecht abschneiden müssen.
Die Verteilung der Intelligenz ist bei Legasthenikern genauso verteilt, wie bei den Menschen ohne Legasthenie.  In aller Regel wird bei der Diagnosestellung von Legasthenie ebenfalls ein Intelligenztest durchgeführt, um dies zu beurteilen. Es ist möglich, dass Menschen mit einer sehr hohen Intelligenz oder sogar mit einer Hochbegabung unter Legasthenie leiden. Häufig werden jedoch Kinder mit Legasthenie von ihren Klassenkameraden fälschlicherweise als dumm erachtet, da der Lerninhalt des deutschen Schulsystems für Legastheniker zum Teil große Probleme bereiten kann.

Kann eine Hochbegabung Legasthenie auslösen?

Die Verbindung von Hochbegabung und Legasthenie scheint vielen Menschen sehr abwegig. Ein Mensch, der unter Legasthenie leidet, muss aber weder minder intelligent sein, noch ist ausgeschlossen, dass er eine Hochbegabung haben kann. Es ist also sehr wohl möglich, dass neben einer Legasthenie gleichzeitig eine Hochbegabung vorliegt, diese aber nicht in einem Zusammenhang zu einander stehen.

Menschen mit Legasthenie können entsprechend auf Gebieten, die nichts mit Kulturtechniken zu tun haben, besondere Stärken besitzen. Häufig bleibt jedoch eine Hochbegabung oder besonders hohe Intelligenz dieser Schüler unentdeckt, da sie in bestimmten Bereichen große Defizite haben. Die Bereiche der Rechtschreibung und des Leseverständnisses werden ebenfalls fälschlicherweise häufig mit Intelligenz gleichgesetzt, sodass bei einem Kind mit Legasthenie eine Hochbegabung von vorneherein gar nicht in Erwägung gezogen wird.

Lesen Sie mehr zu dem Thema: Probleme bei der Hochbegabung

Therapiemöglichkeiten bei Legasthenie

Die Therapie sollte stets individuell auf die Defizite des Kindes zugeschnitten werden und nach Möglichkeit ganzheitlich ansetzen. Mit ganzheitlich ist an dieser Stelle gemeint, dass Therapie / Therapeut, Eltern und Schule an einem Strang ziehen um durch Kooperation miteinander bestmögliche Ergebnisse erzielen zu wollen.

Eine ganzheitliche Förderung sollte darüber hinaus auch bezogen auf das Kind stattfinden und somit den sozial - emotionalen Bereich genauso ansprechen wie den psychomotorischen und den kognitiven Bereich.
Die pädagogische Arbeit sollte sich dabei am Lernstand, den Lernbedingungen und den Arbeitsmöglichkeiten eines jeden Kindes orientieren.

Lesen Sie hier mehr zur Thematik: Therapie der Legasthenie

Welche Spiele helfen bei Legasthenie?

Spiele, die für Legastheniepatienten entwickelt wurden, sind in aller Regel sehr motivierend, weil solche Kinder oft schon entmutigt sind, da die trotz viel Üben und Lernen in der Schule häufig nur schlechte Ergebnisse erzielen. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Spiele für solche Patienten, so konzipiert sind, dass immer wieder kleine Erfolge entstehen. Das Kind gewinnt so wieder Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Dies führt dazu, dass die Kinder mit Freude spielen und so auch mit Freude lernen.

Dazu bieten sich Kartenspiele an, die bei dem Kind auch einen taktilen Reiz auslösen. Als Beispiel kann ein Memory oder ein Canasta genannt werden, bei dem die Bilderseite auch mit Wörtern beschrieben ist. Das Kind muss vor jedem Ablegen der Karte das Wort auf ihr vorlesen, so haben die Kinder neben dem Spielspaß automatisch ein unauffälliges Lesetraining.

Für den Computer gibt es zahlreiche Spiele, die bei Legasthenie helfen und die das Kind alleine spielen kann. Bei solchen Computerprogrammen lässt sich der Schwierigkeitsgrad individuell auf das Niveau des Kindes anpassen. Es existieren zum Beispiel Such- oder Fehlerbilder, um die optische Differenzierung zu trainieren. Die Differenzierungsfähigkeit ist sehr wichtig beim Lesen und Schreiben, da so Gleiches von Ungleichem unterschieden werden kann, wie zum Beispiel bestimmte Buchstaben (h und k oder n und m).

Ein weiteres Spiel bei Legasthenie ist das Buchstabenmalen auf dem Rücken des Kindes, wobei das Kind abwechselnd der Maler und Rater ist. Bei diesem Spiel prägen sich die Buchstaben über mehrere Sinne besonders gut im Gedächtnis des Kindes ein.

Wie kann Logopädie helfen?

Legasthenie wird häufig von Logopäden behandelt, da sie häufig aufgrund einer Spätfolge von Sprachentwicklungsstörungen auftreten kann.
Die Logopädie kann dabei helfen Teilprozesse des Lesens und Schreibens zu erarbeiten, zu automatisieren und zu verbessern, dazu gehören zum Beispiel auch das Erlernen vom orthographischen Regelwissen über Rechtschreibregeln. So können Teilprozesse, die für das Lesen und Schreiben wichtig sind, erlernt werden und so die Probleme beim Lesen und Schreiben eindämmen.

Dabei ist jedoch zu beachteten, dass die Logopädie bei Legasthenie nicht im Leistungskatalog von den Krankenkassen aufgeführt ist.

Legasthenie heute

Da sich die schulischen Probleme allerdings nicht wegdiskutieren ließen und bis heute auch nicht wegdiskutieren lassen, kam es zu einer Neuerung der Erlasse, die nunmehr den Schüler nicht mehr im Hinblick auf seine Intelligenz sondern auf seine schulischen Leistungen hin beurteilt. Man spricht in den Erlassen auch nicht mehr von einer Legasthenie im eigentlichen Sinne, sondern von einer Lese- Rechtschreibschwäche (LRS), von der nunmehr alle Kinder, unabhängig ihrer Herkunft, ihrer Intelligenz oder etwaiger Erklärungsversuche aus dem Umfeld des Kindes, von dieser Lese - Rechtschreibschwäche betroffen sein können. Auf die “klassischen Legastheniker” mit einer Teilleistungsstörung im Bereich des Lesens und Rechtschreibens bei normaler bis überdurchschnittlicher Intelligenz entfällt in dieser Gruppe nur ein geringer prozentualer Anteil.
Während sich bei Kindern mit einer Teilleistungsstörung (Legasthenie) die Schwäche auf das Lesen und Rechtschreiben beschränkt, können Kindern mit einer LRS (Lese- Rechtschreibschwäche) auch Probleme in anderen schulischen Bereichen zugeschrieben werden. Sie gelten häufig als generell leistungsschwächer.

Ähnlich verhält es sich im Bereich der Mathematik. Während es dort Kinder gibt, die alleine im mathematischen Bereich Probleme in Form einer Teilleistungsschwäche oder Teilleistungsstörung aufweisen (Dyskalkulie), gibt es ebenso Kinder, die generell schwächere schulische Leistungen aufweisen. Dann spricht man von einer Rechenschwäche.

 

Die Geschichte der Legasthenie im Überblick

1895 Hinshelwood

  • kongenitale Wortblindheit; vererbt (genetisch bedingt) oder angeboren

1916 Ranschburg

  • Begriff: Legasthenie; geistige Entwicklungsverzögerung (“Hilfsschüler”)

1951 Lindner

  • Legasthenie = Teilleistungsstörung bei normaler bis überdurchschnittlicher Intelligenz; Ausschluss generell schwächerer Schüler

50er bis 80er Jahre

  • Legasthenieboom und Anti-Legasthenie-Bewegung
    führen zur Neuerung der Erlasse. Gefordert werden Erlasse, die allen Schülern mit Problemen im Lesen und Rechtschreiben Hilfe und gezielte Förderung zukommen lassen. Legasthenie wird zum Teilbereich der Lese- Rechtschreibschwäche (LRS)

Heute

  • LRS - Legasthenie
    LRS umfasst die Legasthenie. Legasthenie stellt auch heute noch die Teilleistungsschwäche bei normaler bis überdurchschnittlicher Intelligenz dar. Generell gilt:
    • Probleme im Lesen und Recht- schreiben sollen frühzeitig erkannt werden (Früherkennung; Frühdiagnose)
    • Eine individuelle Förderung soll der Diagnose folgen (Förderdiagnostik)

Historie

Der Wandel des Begriffes von Legasthenie zur Lese- Rechtschreibschwäche (LRS) vollzog sich allmählich und liegt unter anderem auch darin begründet, dass zum einen die vielen unterschiedlichen Definitionsversuche zu Verwirrung führten. Allzuhäufig wurde besonders in den 70er und 80er Jahren schulisches Versagen mit Legasthenie begründet ohne dass eine rationale Begründung dafür vorlag.

An dieser Stelle soll ein kurzer historischer Abriss zur Klärung der Begrifflichkeiten dienen.

Erstmals beobachtete der Augenarzt Hinshelwood im Jahre 1895 Fälle der so genannten “kongenitalen Wortblindheit”. Die Kinder, die er untersuchte, waren nicht dazu in der Lage, Wörter oder einzelne Buchstaben zu erlesen. Obwohl man damals keine Anzeichen von Hirn- und / oder Organschäden fand, konnte man den Aufzeichnungen des Arztes entnehmen, dass jene Kinder aus Familien stammen, in denen eine Minderbegabung vorzufinden war. Man nahm demzufolge an, dass der “kongenitalen Wortblindheit” ein angeborener oder vererbter Hirndefekt zugrunde liegt.

Ranschburg war der erste Pädagoge, der im Jahre 1916 aus seiner Arbeit heraus den Begriff der Leseschwäche (Legasthenie) prägte. Er setzte begrifflich die Legasthenie mit der Leseschwäche gleich und wies auf eine Rückständigkeit höheren Grades in der geistigen Entwicklung eines Kindes hin. Diese Entwicklungsverzögerung zeigt sich im Alter zwischen 6 bis 8 Jahren, teilweise auch später durch die Unfähigkeit des Kindes sich eine ausreichende Lesegeläufigkeit anzueignen. Infolge der Definition Ranschburgs wurden Kinder mit einer Leseschwäche bis nach dem zweiten Weltkrieg an Hilfsschulen verwiesen.
Generell ist anzumerken, dass die Zeit vor, während und nach dem zweiten Weltkrieg die Forschung im Bereich der Legasthenie weitestgehend ausgeschaltet hat. Während man beispielsweise in den USA in diesen Jahren eine genetische Disposition in Betracht zog, war dies aufgrund des damals vorherrschenden Gedankengutes nahezu völlig ausgeschlossen.

Maria Lindner griff im Jahre 1951 die Diskussion um die Legasthenie wieder auf und versuchte, Ranschburgs Definition zu widerlegen. Anders als ihre Vorgänger untersuchte sie die Intelligenz jener Kinder, die beim Lesen eine Schwäche aufwiesen. Sie war es, die die Legasthenie als Teilleistungsstörung neu definierte: Sie verstand unter der Legasthenie eine spezielle Schwäche im Erlernen des Lesens, indirekt auch des Schreibens bei relativ guter Intelligenz. Teilleistungsstörung oder eine spezielle Schwäche bedeutete für sie, dass alle anderen schulischen Bereichen keine auffallenden Probleme aufwiesen. Lindner gab zum ersten Mal auch den Hinweis darauf, dass die Schwäche nicht ausschließlich auf das Lesen begrenzt sein muss, sondern auch die Rechtschreibung davon betroffen sein kann. Anders als vorher wurden nun die Lebensumstände des Kindes genauer in Augenschein genommen. Durch die Integration der Intelligenz wurden durch die Definition Lindners alle so genannten “Lernbehinderten” als “Legastheniker” ausgeschlossen. Somit kam eine Legasthenie auch in Kombination mit einer Hochbegabung in Frage.

Auf der Basis von Lindner wurden viele Versuche unternommen, Hinweise auf die Ursachenklärung zur Entstehung einer Legasthenie zu bekommen. Dabei hatten verschiedene Forschungsrichtungen auch unterschiedliche Erklärungsansätze. Zum einen versuchte man Ursachen im prä-, peri- und postnatalen Bereich, also etwaige Probleme vor, während und nach der Geburt zu finden, zum anderen galten besonders Linkshänder als “gefährdet”, da sie von der Rechtsdominanz abweichen.
Andere Forschungsgruppen hingegen sahen die Rechtschreibleistung in großem Maße als milieuabhängig an, da sie in ihrer Versuchsreihe herausfanden, dass Kinder mit Rechtschreibproblemen häufig der Unterschicht zugehörten. Immer spielte in dieser Phase der Legastheniebewegung die Höhe der Intelligenz eine entscheidende Rolle. Man definierte einen Grenzbereich für “normale Intelligenz”, welcher im Bereich 85 - 115 lag.

Die Definition Lindners fand auch im schulischen Bereich Einzug in nahezu alle LRS - Erlasse, wodurch Ranschburgs Definition nahezu ersatzlos gestrichen wurde. Aus den Neuerungen heraus entstand allerdings ein wahrer “Legasthenie - Boom”, der seinerseits wiederum eine “Anti - Legasthenie - Bewegung” hervorrief. Vertreter dieser Bewegung warfen den Verantwortlichen vor, dass man Unzulänglichkeiten im schulischen Bereich durch eine krankheitsähnliche Lernstörung quasi vertuschen wolle. Man bezeichnete die Legasthenie als ein Konstrukt, welches einzig und alleine von schlechten schulischen Noten abzulenken versuche. Der Hauptgrund für diese Behauptung lag unter anderem darin begründet, dass man DIE Ursache als solches nicht finden konnte. Somit wurden immer wieder andere Kinder zu Legasthenikern - abhängig von der Art und Weise der Untersuchungen.

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Autor: Dr. Nicolas Gumpert Veröffentlicht: 21.05.2007 - Letzte Änderung: 22.10.2021