Motorisches Lernen

Einleitung

Motorisches Lernen umfasst alle Prozesse des Erwerbs, Erhalt und Veränderung von primär motorischen, aber auch sensorischen und kognitiven Strukturen.
Ziel ist die Verbesserung jeglicher Bewegungskoordination in Sportmotorik, Alltags- und Arbeitsmotorik. Gehen, Laufen, Springen und Werfen sind motorische Fertigkeiten, die im Laufe der Entwicklung eines Menschen automatisiert wurden. Wer zum Trinken nach einem Glas greift, macht sich keine Gedanken darüber, wie er seine Bewegung koordinieren muss, damit die Hand in der richtigen Position mit adäquaten Krafteinsatz zugreift.
Jedoch müssen solche motorischen Fertigkeiten wie alle anderen motorischen Bewegungen erst erlernt, stabilisiert und automatisiert werden. 
All diese Bewegungen, deren unbewusste Steuerung verschiedene Zentren im ZNS (Zentrales Nervensystem) übernehmen, werden als Bewegungsfertigkeiten bezeichnet.

Motorisches Lernen und Zentralnervensystem

Der Ursprung jeder Bewegung liegt im ZNS (Zentrales Nervensystem). Einzelne Impulse werden in Form von Aktionspotentialen an tiefere Zentren des Nervensystems weitergeleitet. Durch eine Umschaltung im Rückenmark erfolgt die Weiterleitung über das alpha-Motoneuron an die motorische Endplatte. Diese leitet eine Muskelkontraktion ein. Die Verbesserung sportlicher Bewegung ist somit auf Veränderungsprozesse im ZNS zurückzuführen.

Im Kleinhirn werden Bewegungsschablonen erstellt, die der Koordination von Körperbewegungen dienen. Dem Sportler wird somit ermöglicht, bei einem erhöhten Leistungsniveau die Bewegung noch während ihrer Ausführung zu korrigieren und mögliche Ausweichhandlungen neu zu programmieren.
Ausnahmefälle sind Bewegungen, dessen Ausführung schneller als 200ms ablaufen. Da diese Bewegungen schneller ablaufen, als die Signale im ZNS weitergeleitet werden können, sind Regelungsprozesse während des Bewegungsablaufs nicht mehr möglich.

Ontogenese (motorische Entwicklung)

Die Ontogenese beschäftigt sich mit einem funktionellem Geflecht aus physiologischen, neurophysiologischen, morphologischen, konditionellen, koordinativen, psychomotorischen und motorischen Prozessen in der lebenslangen Entwicklung des Menschen.
Fragen zur motorischen Entwicklung hinsichtlich bestes Lernalter für spezielle Technik-, Taktik- oder Konditionsschulung können aufgrund der Ontogenese beantwortet werden.

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Phasen der motorischen Entwicklung nach RÖTHIG

Motorischer Bestand bei der Geburt

Ein Neugeborenes ist aus motorischer Sicht ein "Mängelwesen", das erst einzelne motorische Fähigkeiten erlernen muss. Die Motorik ist auf unbedingte Reflexe beschränkt.

Enwicklung im ersten Lebensjahr

Der Aktionsradius des Neugeborenen vergrößert sich. Einzelne Bewegungen wie Greifen, aufrechte Haltung etc. ermöglichen erste Kontakte mit der Umwelt.

Entwicklung im Vorschulalter

Bis zum Ende des 6. Lebensjahres sollten die motorischen Grundeigenschaften wie Werfen, Springen, Fangen etc. ausgebildet sein. Ein sportliches Training sollte auf die Ausbildung der koordinativen Fähigkeiten ausgelegt sein.

Entwicklung 7. – 9. Lebensjahr

In dieser Phase der motorischen Entwicklung kommt es zu ersten Gestaltwandlungen von Gliedmaßen und Veränderungen in den Proportionen. Die Motorik wird leistungsfähiger und die Mobilität wird vergrößert.

Spätes Kindesalter

Dieses Alter wird auch als bestes Lernalter für die Entwicklung der Koordination bezeichnet. Kinder lernen in dieser Phase besonders schnell, da der Antrieb und das Leistungsstreben aus eigener Initiative erfolgt. Bessere Beobachtungs-, und Wahrnemungsfähigkeiten ermöglichen rasches Lernen, nicht nur im Bezug auf die Motorik. Eltern, Lehrer und Trainer sollten diese sensible Phase der motorischen Entwicklung besonders beachten, da verpasste koordinative Entwicklungen im späteren Verlauf nur schwer nachgeholt werden können. 

Frühes Jugendalter (11.- 15. Lebensjahr)

Nach MEINEL/SCHNABEL wird diese Phase als Umstrukturierung der motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten bezeichnet. Es erfolgt ein Längenwachstum, welches sich negativ auf die Entwicklung der Bewegungskoordination auswirken kann. Die Schnelligkeit und Kraft ist in diesem Alter bereits in gewissem Maße ausgeprägt.

Spätes Jugendalter (13.- 18. Lebensjahr)

Diese Phase, auch als Adoleszenz bezeichnet, ist gekennzeichnet durch ausgeprägte gesellschaftliche Differenzierung, fortschreitende Individualisierung und zunehmende Stabilisierung. Die Motorik wird variabler und die Ausdrucksstärke nimmt zu.

Erwachsenenalter

Die Bewegung wird ökonomischer und zweckmäßiger. Es kommt zu Automatisierungen und präziser Steuerung der Bewegungen.
In zunehmendem Alter kommt es häufig zu einem Rückgang der Motorik.

Die drei Phasen des motorischen Lernens

Das motorische Lernen lässt sich grundsätzlich in drei Phasen aufgliedern:

  • Grobkoordination
  • Feinkoordination
  • Feinstkoordination.

Wenn alle drei Phasen des motorischen Lernens für eine Bewegung abgeschlossen sind, kann eine Person diese Bewegung automatisiert ausführen und sie ohne große Konzentration auch unter erschwerten Bedingungen einwandfrei ausführen.

Phase der Grobkoordination

In dieser Phase muss sich die Person zunächst mit der Bewegung kognitiv auseinandersetzten. Eine zumindest grobe Vorstellung über den Bewegungsvollzug muss vorliegen. Diese gedankliche Vorbeschäftigung mit der Bewegung kann anhand Lehrbildreihen, Videos, Animationen oder Vormachen geschehen.
Während der Ausführung kann man die Bewegung nicht selber korrigieren und eine Rückmeldung über die Bewegung erfolgt nur mittels gelungen oder nicht gelungen.

Am Beispiel Aufschlag: Der Sportler hat eine Vorstellung von der Bewegung. Die Ausführung des Aufschlags ist durch fehlende Dynamik der Teilkörperbewegungen gekennzeichnet.

Korrekturen können aufgrund fehlender Bewegungsempfindung während des Bewegungsvollzugs nicht erfolgen. Die Priorität der Rückmeldung muss daher beim Trainer liegen. Wenn sich Technikfehler der Bewegung in dieser Phase einschleichen, sind spätere Korrekturen nur noch sehr schwer ausgleichbar.

Phase der Feinkoordination

Wird die Bewegung häufig wiederholt, kommt es zur Erstellung von Bewegungsschablonen im Kleinhirn.
Diese Schablonen dienen dem SOLL-IST-Vergleich und ermöglichen dem Sportler Korrekturen während des Bewegungsvollzuges vorzunehmen. Dadurch ist die Bewegung stabilisiert und erfüllt räumliche, zeitliche und dynamische Aspekte.

Die Rolle des Trainers und Übungsleiters tritt mit zunehmendem Könnenstand im Hinblick auf Technikschulung immer weiter in den Hintergrund. 

Phase der Feinstkoordination

Diese Phase wird auch Stabilisierung der Feinstkoordination oder variable Verfügbarkeit genannt.
Die Koordination der Bewegung ist auf einem Leistungsniveau angelangt, bei dem alle leistungsrelevanten Bewegungsmerkmale optimal aufeinander abgestimmt sind. Die Teilbewegungen sind zeitlich, räumlich und dynamisch so aufeinander abgestimmt, dass Technikfehler von außen kaum noch erkennbar sind.

Auf den Aufschlag im Tennis übertragen bedeutet dies, dass die Ausführung auch dann noch mit hoher Sicherheit und Präzision zu absolvieren ist, wenn äußere Störgrößen wie Wind, Sonne oder schlechter Ballwurf einwirken.

Motorisches Lernen im Sport

Das motorische Lernen, oder auch Bewegungslernen, ist im Sport von zentraler Bedeutung.
Der Begriff umfasst die Optimierung von Bewegungsabäufen, etwa um Kräfte zu sparen, oder die Bewegung schneller, flüssiger und sauberer auszuführen.

Motorisches Lernen findet unbewusst und ständig statt, der Lernprozess ist hierbei an einen zielgerichteten Übungsprozess gekoppelt.
Voraussetzungen für das erfolreiche motorische Lernen im Sport sind:

  • Intensives Techniktraining
  • Ständiges Wiederholen der Bewegungsabläufe
  • Automatisierung
  • Komplexere Anwendung unter erschwerten Bedingungen

Motorisches Lernen in der Physiotherapie

In der Physiotherapie steht besonders die Rehabilitation im Vordergrund.
Alltagsfunktionen bei Patienten müssen wiederhergestellt werden. Oft geht es auch darum, falsche Bewegungsabläufe zu korrigieren, um Verletzungen und langfristigen Funktionseinschränkungen vorzubeugen.

Patienten in der Physiotherapie müssen von einem Therapeuten angeleitet werden, zum Erfolg zählt jedoch maßgeblich das wiederholte Üben der Bewegungsabläufe. Um erfolgreiches motorisches Lernen in der Physiotherapie zu ermöglichen, ist es entscheidend, die Motivation des Patienten aufrecht zu halten. Verschiedene Strategien, etwa Belohnungen, Gruppentherapien und das Verhindern von Überanstrengung und Überforderung sind wichtige Maßnahmen zum Erhalt der Motivation und der Optimierung der Betreuung.

Welche Rolle spielt das Kleinhirn beim motorischen Lernen?

Das Kleinhirn spielt beim motorischen Lernen eine wichtige Rolle, da in ihm alle Informationen des Körpers zusammenlaufen. Das Kleinhirn erhält Signale über den Spannungszustand der Muskulatur und koordiniert so alle Bewegungen.
Es ist mitverantwortlich für das Erlernen von Bewegungen, die Koordination von einzelnen und mehreren Bewegungen und Bewegungsabläufen sowie für die feinmotorische Abstimmung bei feinen Bewegungen, die eine hohe Konzentration erfordern.

Was ist psychomotorisches Lernen?

Als motorische Prozesse werden alle Bewegungen des Menschen bezeichnet. Diese Bewegungen geschehen unter Einfluss verschiedener Faktoren. Diese Faktoren können emotionale Reaktionen, Konzentrationsvorgänge oder individuelle Eigenarten des jeweiligen Menschen sein. Betrachtet man die motorischen Bewegungen des Menschen unter diesen Gesichtspunkten, spricht man von Psychomotorik.

Das psychomotorische Lernen handelt vom Erleben der Umwelt im Zusammenspiel mit Bewegungen und Bewegungswahrnehmung. Es geht beim psychomotorischen Lernen also um eine Bewegungsschulung, die großen Wert auf das Zusammenspiel von Bewegungen und Umwelt legt. Die Lernenden sollen Bewegungen in natürlichen Umgebungen lernen und verbessern, sodass ein positiver Sinnzusammenhang entsteht.

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Autor: Tobias Kasprak Veröffentlicht: 26.10.2007 - Letzte Änderung: 22.10.2021