Kleinhirninfarkt

Definition

Bei einem Kleinhirninfarkt (Kleinhirn = Cerebellum) handelt es sich um einen Schlaganfall im Kleinhirn, welcher durch den Verschluss der versorgenden Arterien, oder eine Blutung aus diesen, verursacht wird. Die Gefäße stammen aus der Wirbelarterie (Arteria vertebralis) und der Basilararterie (Arteria basilaris). Die Wirbel- und Basilararterie bilden mit ihren Ästen den hinteren Kreislauf zur Versorgung des Gehirns, während die Halsschlagadern (Arteria carotis) den vorderen Kreislauf darstellen. Dieser versorgt die meisten Teile des Großhirns, das Mittelhirn, das Auge und weitere Bereiche.

Neben dem Kleinhirn versorgen die Wirbelarterien unter anderem auch den Hirnstamm, in welchem viele lebenswichtige Körperprozesse gesteuert werden. Das Kleinhirn kann man als Bewegungs- und Koordinationszentrum bezeichnen. Bei Störungen, wie sie bei einem Kleinhirninfarkt auftreten, kommt es zu verschiedenartigen Einschränkungen der Bewegung.

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Ursachen

Die Ursache für einen Kleinhirninfarkt ist der Verschluss einer oder mehrerer Versorgungsgefäße oder eine örtliche Hirnblutung. Das Kleinhirn wird durch drei Arterien versorgt:

  • Arteria inferior posterior cerebelli (die untere hintere Kleinhirnarterie, kurz: PICA)
  • Arteria inferior anterior cerebelli (die untere vordere Kleinhirnarterie, kurz: AICA)
  • Arteria superior cerebelli (die obere Kleinhirnarterie, kurz: SCA)

Während die PICA von den Wirbelarterien abgeht, stammen die AICA und die SCA aus der Basilararterie. Bei einem Verschluss der größeren Gefäße treten schwerere Symptome auf, als wenn nur eine der Kleinhirnarterien betroffen ist.

In 80% der Fälle wird der Infarkt durch einen Verschluss der zuführenden Gefäße verursacht, was man als einen ischämischen Infarkt (Mangeldurchblutung) bezeichnet. Dieser kann durch Arteriosklerose (Gefäßverengung durch eine Verkalkung der Arterien), durch eine Thrombose (Blutgerinnsel, welches sich andernorts gelöst hat und nun zum Verschluss führt) oder durch andere Gefäßerkrankungen herbeigeführt werden.
Blutungen im Gehirn werden vor allem durch Gefäßschäden bei chronischem Bluthochdruck, Gefäßmissbildungen und die Einnahme von Blutverdünnern (Gerinnungshemmer, Antikoagulantien) begünstigt. Wichtige Risikofaktoren, die die Gefahr eines Schlaganfalls im Allgemeinen erhöhen, sind Bluthochdruck, Übergewicht, Bewegungsmangel, Diabetes, langjähriger Tabakkonsum und Stress.
Lesen Sie mehr zu diesem Thema unter: Ursachen eines Schlaganfalls

Verschluss der PICA

PICA ist die Abkürzung für die untere hintere Kleinhirnarterie mit dem lateinischen Namen Arteria inferior posterior cerebelli. Sie entspringt aus der Basilararterie, welche durch den Zusammenschluss der beiden Wirbelarterien entsteht. Die PICA versorgt den unteren (kaudalen) Anteil des Kleinhirns und gibt dort nochmals zwei kleinere Äste zur Blutversorgung ab.
Bei einer Störung der Blutversorgung in diesem Bereich, sei es durch den Verschluss der Arterie oder eine Blutung, kommt es dort auch zur Beeinträchtigung der Funktionen des Kleinhirns. Da die Leitungsbahnen der Nerven sehr eng beieinander liegen, kann man nicht eindeutig vorhersagen, welche exakten Symptome dabei auftreten werden. Wahrscheinliche Symptome sind bei einem Verschluss der PICA allerdings Gleichgewichtsstörungen und daraus resultierende Probleme bei der Koordination von Bewegungen auf der betroffenen Seite (Hemiataxie). Auch kann es zu Heiserkeit und Sprachschwierigkeiten kommen. Es tritt eine Dysdiadochokinese (siehe Symptome) auf der gleichen Seite auf.

Lesen Sie mehr zu diesem Thema unter: Kleinhirnschädigung

Symptome

Bei einem Kleinhirninfarkt können verschiedene Symptome auftreten, die charakteristisch für einen Funktionsausfall dieses Bereichs des Gehirns sind. Somit lassen sich viele Kleinhirninfarkte von Schlaganfällen im Großhirn abgrenzen.

Da die Planung und die Koordination von Bewegungen vom Kleinhirn gesteuert werden, kommt es zu einer sogenannten cerebellären Ataxie (wörtl.: Unordnung im Kleinhirn). Die Patienten haben einen unsicheren Gang, wirken fast wie betrunken. Dies kann soweit gehen, dass selbst das aufrechte Sitzen aufgrund des Schwankens unmöglich wird.
Die Augen und der Gleichgewichtssinn sind im Gehirn stark miteinander verknüpft. Ebenso ist das Kleinhirn Bestandteil dieses Netzwerks. Es kommt beim Ausfall zum sogenannten Nystagmus, einer Blickstabilisierungsstörung. Betroffene beschreiben das Symptom als Unruhe oder Zittern der Augen. Ursächlich ist dafür der Versuch des Gehirns, die Augenbewegung an die fehlempfundene Körperbewegung anzupassen. Dabei bewegt sich der Körper allerdings nicht tatsächlich – es wird dem Gehirn durch die Störung des Gleichgewichtssinns ein falscher Zustand vermittelt.
Ein weiteres Symptom eines Kleinhirninfarkts kann ein Intentionstremor sein. Tremor beschreibt die rhythmische Bewegung eines Körperteils. Intention meint, dass vor allem zum Ende einer Bewegung der Tremor verstärkt wird. Tippt ein Patient, der an einem Intentionstremor leidet, mit geschlossenen Augen auf seine Nase, wird die Bewegung immer ungezielter, je näher er der Nase kommt.
Die sogenannte Dysdiadochokinese ist ebenfalls Resultat der gestörten Bewegungskoordination. Dabei können entgegengesetzte Bewegungen nicht mehr reibungslos ausgeführt werden. Bittet man eine betroffene Person z.B. so zu tun, als wolle er/sie eine Glühbirne einschrauben, wirkt die Bewegung sehr abgehackt und wird durch mehrfache Wiederholungen immer geringer.

Neben diesen Symptomen können außerdem noch Sprachprobleme – abgehackte (skandierte) Sprache und gestörte Artikulation (Dysarthrie), Muskelschwäche (Muskelhypotonie), aber auch überschießende (Hypermetrie) oder zu kurz bemessene Bewegungen (Hypometrie) auftreten (insgesamt als Dysmetrie/Fehlbewegung bezeichnet).
Durch die Nähe des Kleinhirns zum Liquorsystem (Liquor = Nervenwasser) kann es bei einem ausgedehnten Kleinhirninfarkt zu einer Verengung oder zu einem Verschluss des Systems (vor allem des 4. Ventrikels) kommen. Durch eine Ventrikelverlegung kommt es zu erhöhtem Hirndruck und einem Hydrocephalus (Nervenwasserabflussstörung).

Lesen Sie mehr zu diesem Thema unter: Anzeichen eines Schlaganfalls

Schwindel

Schwindel kann bei einem Kleinhirninfarkt Teil der klinischen Erscheinung sein. Da das Kleinhirn die Bewegungen koordiniert, das Auge eine Verbindung zur Umwelt schafft und das Gleichgewichtsorgan im Ohr die Position des Körpers vermittelt, sind diese drei Systeme eng miteinander verbunden. Zahlreiche Nervenfasern bilden Verknüpfungen, damit Bewegungen so ausgeführt werden können, dass der Mensch im Gleichgewicht bleibt. Erst dieses komplexe System ermöglicht uns beispielsweise aufrecht zu gehen oder überhaupt zielgerichtete Bewegungen auszuführen.

Bei einem Kleinhirninfarkt können eben diese Bahnen betroffen sein, die das Kleinhirn mit dem Steuerzentrum des Gleichgewichtsorgans (Vestibulariskerne) verbindet. Nun kann es bei einseitiger Schädigung zu einer überschießenden Aktivierung des gegenüberliegenden Gleichgewichtsorgans kommen, wie wenn der Gleichgewichtsnerv (Nervus vestibularis) geschädigt wäre. Von der geschädigten Seite gehen keine Reize, keine Informationen mehr aus. Der Körper weiß nicht, in welcher Position sich die betroffene Seite befindet und das Gleichgewichtssystem spielt verrückt – dem Patienten wird schwindelig.

Lesen Sie mehr zu diesem Thema unter: Schwindel nach einem Schlagananfall​​​​​​​.

Diagnose

An oberster Stelle der Diagnostik steht zunächst die körperliche und neurologische Untersuchung, um das Infarktgeschehen an sich zu erkennen. Die neurologischen Ausfälle können dabei unterschiedlichster Art sein, konzentrieren sich beim Kleinhirninfarkt aber auf den Gleichgewichtssinn,sowie die Koordination und Ausführung von Bewegungsabläufen.

Wenn der Verdacht auf einen Kleinhirninfarkt besteht, sollte umgehend festgestellt werden, ob es sich um einen Verschluss oder eine Blutung als Ursache handelt. Hierfür wird in der Regel ein cCT (Computertomograpie vom Kopf) angefertigt. Stellen sich im Bild helle (hyperdense) Bereiche dar, so handelt es sich um eine Blutung. Ist das cCT zunächst unauffällig, kann von einem Verschluss ausgegangen werden, der sofort mit einer Lysetherapie (Auflösung des Gerinnsels) behandelt werden sollte, wenn nicht mehr als 4,5 Stunden seit dem Erstauftreten der Symptome vergangen sind.
Alternativ kann auch ein MRT des Gehirns (Magnetresonanztomographie) gemacht werden. In diesem stellen sich schon früh Anzeichen eines Infarktgeschehens dar, wie z.B. die Schwellung um den Infarktbereich (perifokales Ödem). Außerdem kann im MRT durch ein sogenanntes Perfusions-Diffusions-Mismatch herausgefunden werden in welchen Regionen des Gehirns die Blutversorgung gestört ist, beziehungsweise welche Anteile mit großer Wahrscheinlichkeit unwiderruflich zerstört worden sind.

Um die Ursache des Schlaganfalls herauszufinden – wo beispielsweise das Gerinnsel herstammt – werden das Herz und die Halsgefäße mit Ultraschall untersucht.

Lesen Sie mehr zu diesem Thema unter: So wird ein Schlaganfall diagnostiziert

Therapie

Die Art der Behandlung wird durch die Art des Infarkts bestimmt. Wenn eine Blutung Ursache für den Kleinhirninfarkt ist, muss der Patient vorerst intensivmedizinisch überwacht werden. Die Blutgerinnung muss kontrolliert, die Schmerzen therapiert und der Blutdruck eingestellt werden. Es muss genau auf Hirndruckzeichen​​​​​​​ (Übelkeit, Bewusstseinsstörungen) geachtet werden, um diese früh erkennen und behandeln zu können. Für jeden Einzelfall muss entschieden werden, ob eine operative Öffnung des Schädels zur Druckentlastung notwendig ist.
Lesen Sie mehr zu diesem Thema unter: Therapie einer Hirnblutung

Ist ein Gefäßverschluss ursächlich für den Schlaganfall, muss schnell gehandelt werden. Bis zu 4,5 Stunden nach dem Erstauftritt der Symptome kann eine venöse Lysetherapie gestartet werden, bei der das festsitzende Gerinnsel aufgelöst wird. Bis zu 6 Stunden dürfen maximal vergehen, wenn die Lyse über den arteriellen Weg oder eine mechanische Entfernung des Gerinnsels mittels Katheter durchgeführt wird. Gar keine Lysetherapie darf bei Patienten mit gestörter Gerinnung, Blutungen oder starkem Bluthochdruck, nach stattgehabter Operation, bei Schwangerschaft oder bakterieller Entzündung der Herzklappen eingesetzt werden.

Neben der Akuttherapie sollte auch die Grundversorgung gewährleistet sein. Eine ausreichende Versorgung mit Sauerstoff, ein stabiler Kreislauf und die Überwachung des Hirndrucks sind essentiell. Besteht ein leichter Bluthochdruck, sollte dieser bei Ausschluss einer Hirnblutung beibehalten werden, um die Durchblutung des geschädigten Hirngewebes zu verbessern. Fieber- und Blutzuckerkontrollen gehören ebenso zu den notwendigen Überwachungsmaßnahmen.

Lesen Sie mehr zu diesem Thema unter: Therapie eines Schlaganfalls

Dauer eines Kleinhirninfarkts

Die Dauer eines Kleinhirninfarkts ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Sie hängt maßgeblich vom Heilungsprozess ab. Der Schlaganfall an sich dauert nur wenige Sekunden – die Symptome können allerdings zwischen einigen Stunden und mehreren Monaten bestehen bleiben. Ebenfalls besteht die Möglichkeit, dass bei schweren Infarkten mit hohem Zelluntergang, bleibende Schäden davongetragen werden.
Um die Dauer der Symptomatik möglichst gering zu halten ist eine sofortige Versorgung unverzichtbar. Je früher ein bestehender Verschluss therapiert werden kann, desto höher stehen die Chancen einer baldigen Genesung. Häufig beginnt für die Patienten nach der Akutbehandlung ein langer Heilungsprozess, bei dem sie oftmals grundlegende Fähigkeiten wie Gehen oder Sprechen neu erlernen müssen. Speziell beim Kleinhirninfarkt ist das Üben der Koordination von Bewegungen wichtig. Regelmäßiges Training der eingeschränkten Fähigkeiten kann die Dauer der Krankheitsauswirkungen stark verkürzen.

Lesen Sie mehr zum Thema unter: Wie sehen die Heilungschancen nach einer Hirnblutung aus? und Heilung nach einem Schlaganfall
Durch den Schlaganfall kann es noch zu weiteren schwerwiegenden Folgen kommen. Erfahren Sie mehr darüber unter: Das sind die Folgen eines Schlaganfalls!​​​​​​​

Kleinhirninfarkt der linken Seite

Wenn der Kleinhirninfarkt auf der linken Seite stattfindet, kommt es hauptsächlich zu Störungen der betroffenen Körperhälfte, die aber in der Regel nicht so stark wie bei einem Infarkt der Großhirnrinde ausfallen. Einige Nervenbahnen, die das Kleinhirn mit anderen Bereichen verbindet, kreuzen während ihrem Verlauf auf die gegenüberliegende Seite. So beispielsweise die Fasern, welche maßgeblich an der Steuerung der Willkürmotorik – der bewusst gesteuerten Bewegung – beteiligt sind. Da die Bewegungsnerven (motorische Nerven) auf ihrem Weg zum Muskel nochmals kreuzen, treten die Störungen auf der Seite des Infarkts auf. Die Folge ist eine eingeschränkte Beweglichkeit in der linken Körperhälfte.

Es sind nicht nur die Fasern betroffen, welche aus dem Kleinhirn heraus führen, sondern auch jene, welche in das Kleinhirn hinein verlaufen. Deshalb kommt es zu Empfindungs- und Koordinationsstörungen auf der gleichen bzw. linken Seite.
Eigentlich sind die Nervenfasern intakt, welche die Signale aus den Extremitäten und dem restlichen Körper in das Kleinhirn zur Verarbeitung leiten. Unglücklicherweise kommt durch den Infarktherd keine Information mehr im System an. Die Folge ist eine mangelnde Koordination mit den bereits genannten Symptomen der betroffenen Seite.
Wenn sich die Sprache im klinischen Bild auffällig zeigt, lässt sich der Ort des Infarktgeschehens nicht genau bestimmen. Erst die charakteristische Bewegungseinschränkung und die Koordinationsstörung macht in Kombination mit bildgebenden Verfahren eine genaue Diagnose möglich.

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Kleinhirninfarkt der rechten Seite

Bei einem Kleinhirninfarkt der linken Seite stellt sich die Symptomatik genau umgekehrt dar. Die Koordinationsschwierigkeiten und die Bewegungseinschränkung sind auf der rechten Seite lokalisiert. Problematisch wird hierbei für die meisten Menschen, dass mit der rechten Hand die meisten banalen Tätigkeiten, wie z.B. Schreiben durchgeführt werden. Ist die sonst viel genutzte Körperseite plötzlich eingeschränkt, kann das einen enormen Leidensdruck für den Patienten bedeuten. Übungen zur Wiederaufnahme aller motorischen Fähigkeiten sollten direkt nach Verbesserung des Zustands eingeleitet werden, damit möglichst schnell der Bewegungsapparat gefordert und neu angelernt wird.

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Autor: Dr. Nicolas Gumpert Veröffentlicht: 10.03.2017 - Letzte Änderung: 06.11.2021