Übergewicht und Psychologie

Vorwort

Dieses Thema befasst sich überwiegend mit den psychischen Aspekten von Übergewicht. Eine dauerhafte Gewichtsreduktion kann nur erreicht werden, wenn die Mechanismen, die zum Übergewicht führen verstanden werden.

Synonyme im weiteren Sinne

Medizinisch: Adipositas

Übergewichtig, feist, fett, dick, beleibt, korpulent, vollschlank, mollig, Adipositas per magna, Fettleibigkeit, Idealgewicht, Normalgewicht, Untergewicht

Englisch: overweight

Definition Übergewicht

Der Begriff Übergewicht (Adipositas) bezeichnet einen Zustand, bei dem ein Mensch an mehr Gewicht hat als der für seine Körpergröße als optimal angesehene Normwert (Normalgewicht) und hierdurch erhöhten gesundheitlichen Risiken ausgesetzt ist.
Das Maß einer behandlungsbedürftigen Adipositas (Übergwicht) errechnet sich durch den sogenannten Body-Mass-Index.
Mehr Informationen zur Berechnung finden Sie unter: Body-Mass-Index.

Der Body - Mass - Index

Allgemeine Klassifikation des Body-Mass-Index (BMI = kg (Körpergewicht) / (Körpergröße in) m2)

  • Untergewicht: unter 18,5
  • Normalgewicht: 18,5 bis 24,9
  • Übergewicht: 25,0 bis 29,9
  • Adipositas Grad I: 30,0 bis 34,9
  • Adipositas Grad II: 35,0 bis 39,9
  • Adipositas Grad III: über 40,0

In den meisten Fällen besteht erst ab einem BMI größer 30 Behandlungsbedürftigkeit. Natürlich ist für die Behandlung nicht ausschließlich die Höhe des BMI ausschlaggebend, sondern im Besonderen auch die Verteilung des Fetts. So ist z.B. bekannt daß bei der für Männer typischen Fettverteilung im Bereich des Bauches ein sehr viel höheres Herzinfarktrisiko besteht, als bei der hüftbetonten Fettansammlung welche eher bei Frauen vorkommt.
Nicht zu vergessen sind natürlich auch psychische Belastungen, sowie hoher Leidensdruck, aus denen, unabhängig vom BMI (Body - Mass - Index) auch eine Behandlungsbedürftigkeit entstehen kann.

Folgeerkrankungen

Typische Krankheit, welche durch Adipositas verursacht oder mit verursacht werden:

Adipositas ist mit einer Vielzahl von direkten und indirekten Gesundheitsrisiken behaftet. Im Folgenden nun die wichtigsten:

Auch gibt es im Zusammenhang mit Adipositas / Übergewicht für den Kranken deutliche „psychosoziale“ Folgen. Dies bezeichnet die Sorgen, die in der Auseinandersetzung mit dem Umfeld entstehen.
Häufig sind das Selbstwertgefühl und die Lebenszufriedenheit stark beeinträchtigt. Nicht selten finden sich Angsterkrankungen und depressive Verstimmung.

Lesen Sie hierzu auch unser Thema Folgen von Übergewicht.

Häufigkeit (Epidemiologie)

Vorkommen in der Bevölkerung
Etwa jeder 5. Erwachsene und jeder 20. Jugendliche in Deutschland leidet an einer behandlungsbedürftigen Adipositas (Übergewicht).
Die Wahrscheinlichkeit übergewichtig zu werden steigt eindeutig im Alter an. Besonders Frauen sind mit zunehmendem Lebensalter gefährdet.

Diagnose

Neben der Bestimmung des BMI (Body-Mass-Index) und der Verteilung des Fettes sind medizinische Laboruntersuchungen notwendig, um das Risiko von oben genannten Erkrankungen einschätzen zu können.
Weiterhin sollte im Rahmen der Diagnostik eine sogenannte „Gewichtskurve“ erstellt werden. In diese zeichnet der Patient den bisherigen Verlauf seines Gewichtes ein und bespricht mit einem Arzt / Therapeuten, ob er bestimmten Schwankungen des Gewichtes bestimmten Lebensereignissen zuordnen kann. In diesem Zusammenhang sollte der Patient auch eine Wunschkurve erstellen, aus der sich sein Zielgewicht ablesen lässt.
Weiterhin haben sich sog. Ernährungstagebücher bewährt, in denen eine Woche lang alle Speisen und Getränke notiert werden, die der Patient zu sich nimmt.
Dieses Instrument ist im Besonderen wichtig um eine etwaige Binge-Eating-Störung oder aber sonstiges ungünstiges Essverhalten (z.B. häufiger Konsum von zuckerhaltiger Limonade oder besonders fettreiches Essen etc.) festzustellen.

Ursachen

Im Gegensatz zur landläufigen Meinung, dass adipöse / übergewichtige Patienten schlicht und einfach zu viel essen, hat die Wissenschaft der letzten Jahre gezeigt das verschiedenste Einflussfaktoren bei der Entstehung des Übergewichts (Adipositas) eine Rolle spielen.

  1. Genetische Aspekte:
    In Zwillingsstudien konnte nachgewiesen werden, dass sog. genetische Faktoren eine Rolle in der Entstehung der Adipositas / Übergewicht spielen.
    So gab es z.B. Fälle von Adoptionen, bei denen Zwillingspaare getrennt wurden und trotz völlig unterschiedlicher Umgebungen eine gleiche Gewichtsentwicklung zeigten.
    Auch scheint es teilweise sehr deutliche Unterschiede darin zu geben, wie Menschen die ihnen angebotene Nahrung „verstoffwechseln“.
    Gleiche Mengen an Kalorien können somit zu sehr unterschiedlichen Gewichtsentwicklungen führen.
  2. Psychologische Aspekte:
    Viele Menschen wissen sehr wohl, ob Sie ein guter oder ein schlechter „Kalorienverwerter“ sind, d.h. sie wissen, ob Sie schnell Fett ansetzen oder eben nicht.
    Dementsprechend kommt es häufig bei diesen Menschen zu einer nur sehr gebremsten Nahrungsaufnahme.
    Ähnliches findet man bei Menschen, die bestimmten gesellschaftlichen Regeln unterworfen sind (z.B. junge Frauen). Ihnen wird beigebracht, dass nur ein schlanker Körper ein schöner Körper ist, so dass auch sie sich begrenzen und zügeln, wo es nur geht.
    Das Problem bei diesem Zusammenreißen liegt nun aber darin, dass es ein reines „Kopfverbot“ ist, d.h. der Kopf diktiert und alle anderen Bedürfnisse haben zu gehorchen. Es ist also egal, ob ich noch Hunger habe oder aber „Lust“ hätte noch ein Stück zu essen. Mein Kopf (meine Verstand) verbietet es mir.
    Die meisten Menschen sind nun aber so gestrickt, dass absolute Verbote häufig einen gegenteiligen Effekt haben können.
    Beispiel: Fr. M. nimmt sich vor keinen Kuchen mehr zu essen. Sie liebt Kuchen, doch weiß ich, dass sie „Kuchen nur ansehen muss, um zuzunehmen“. Sie verbietet es sich also. Nach einigen „kuchenfreien“ Tagen hat Fr. M. großen Ärger auf der Arbeit und trifft sich am Nachmittag mit einer Freundin, um darüber zu reden. Natürlich hat die Freundin Kuchen gekauft, da sie ja weiß, wie sehr Fr. M. Kuchen liebt. Fr. M. ist wegen des Ärgers so aufgewühlt, dass die Stimme ihrer Vernunft nicht mehr zu hören ist, so dass die Lust auf Kuchen in ihrer Rage quasi die Kontrolle übernimmt. Nach dem ersten Stück hält sie allerdings noch einmal inne, als ihr klar wird, dass sie ihr Gebot gebrochen hat. Anstatt jetzt aufzuhören, verfällt sie jedoch jetzt in eine Art „Schwarz-Weiss-Denken“, bei dem sie sich sagt „Jetzt ist es auch egal!!“ und gibt sich dem weiteren Genuss hin.

    In der Gruppe der Bulimie - Erkrankten, findet man diesen Wechsel von großer Kontrolle und totalem Zusammenbruch des Kontrollsystems in teilweise extremer Form.
  3. Körperliche Aspekte
    Groß angelegte Studien haben gezeigt, dass Adipöse (Übergewichtige) in vielen Fällen gar nicht so viel mehr Kalorien zu sich nehmen, als Normgewichtige. Es zeigte sich jedoch, dass es bei adipösen Patienten in der Regel eine deutliche Verschiebung zum Fett dahingehend gab, dass sie mehr Fett, bei gleicher Kalorienmenge zu sich nahmen. Dies führte zu einem Umdenken in der Therapie der Adipositas (Übergewicht).
    Nahm man früher an, dass die einfache Verminderung der Essensmenge der Schlüssel zum Erfolg war, geht man heute davon aus, dass die Menge, die ein aübergewichtiger Patient zu sich nicht gar nicht von so großer Bedeutung ist, solange man sie so „fettarm“ wie möglich gestaltet.
    Hierbei sind Kohlenhydrate (wie Brot, Kartoffeln, Nudeln) entgegen früherer Meinungen keine „verbotenen“ Lebensmittel bei einer Gewichtsreduktion (Gewichtsabnahme).

Therapie Übergewicht

Der moderne therapeutische Ansatz zur Behandlung der Adipositas muss das heutige Wissen um diese Störung berücksichtigen. Es ist einfach nicht genug einem fettleibigen Patienten das Essen zu verbieten und ihn mit Bluthochdrucks- und Herzinfarktgeschichten zu erschrecken. Die heutige Therapie sollte in verschiedenen Stufen durchgeführt werden, die idealerweise aufeinander aufbauen.

  1. Aufklärung des Patienten über Ursachen seiner Störung
  2. Realistische Ziele
  3. Ernährungsgewohnheiten
  4. Essgewohnheiten
  5. Bewegung

Aufklärung

Die meisten adipösen (übergewichtige) Menschen tragen mit sich ein Bild über sich und ihre Störung herum, in dem sie sich meist als Schuldige an Ihrer Störung sehen.
Wie oben bereits erwähnt, trifft dies jedoch auf keinen Fall uneingeschränkt zu. Natürlich ist es keinesfalls günstig, wenn sich ein Patient ausschließlich von Junk-Food ernährt und jegliche Art von Bewegung meidet, doch ist es genauso falsch einen übergewichtigen Menschen per se als faulen Vielfrass abzustempeln. Die Wahrheit liegt (wie so oft in unserer schönen Welt, die weder ganz schwarz noch ganz weiß ist) in der Mitte.
Aufgabe des Therapeuten ist es nun dem Patienten eben die ganze Bandbreite von Ursachen zu erklären, um damit auch an seiner Einstellung sich selbst gegenüber zu arbeiten. Die Botschaft hierbei sollte sein, dass vieles von dem, was die Adipositas (Übergewicht) ausmacht, unverschuldet ist, man jedoch dieses Schicksal keineswegs einfach akzeptieren muss.
Die meisten adipösen Patienten, die in eine solche Therapie kommen, haben schon eine Vielzahl von gescheiterten Diäten hinter sich und haben sich deshalb nicht selten schon selbst den Stempel des Versagers aufgedrückt. Durch die ehrliche und wissenschaftliche Aufklärung über die Störung sollte es nun gelingen ein Umdenken zu bewirken und einen neuen Motivationsschub zu geben.

Realistische Ziele

Wenn der Patient nun durch diesen ersten Schritt eine Motivation für eine Therapie entwickelt haben sollte, geht es im weiteren darum die Ziele der Therapie zu bestimmen. Motivation oder Übermotivation führt leider in vielen Fällen dazu, dass sich der Motivierte unerreichbare Ziele setzt, an denen er mit großer Sicherheit scheitern wird. (Z.B. die Gewichtsreduktion von 120 auf 70 kg innerhalb eines halben Jahres)
Ein solches Scheitern kann nun die neu geschaffene Motivation zerstören und letztendlich zu einer Gewichtszunahme (Schwarz-Weiss-Denken) führen dadurch, dass der Versuch der Gewichtsreduktion völlig aufgegeben wird.
Bezüglich des Zielgewichtes, gibt es Richtwerte, die davon ausgehen, dass es sinnvoll ist das Ausgangsgewicht zunächst um etwa 15% zu reduzieren.

Ernährungsgewohnheiten

Wie bereits erwähnt, bringt es in der Regel nur Verdruss, wenn man einem Menschen das Essen verbietet.
Es ist aus diesem Grunde wichtig, nicht das Essen an sich, sondern dessen Zusammensetzung in der Therapie zu berücksichtigen. Konkret bedeutet dies z.B., dass tierische Fette durch pflanzliche ersetzt werden sollten und dass etwa die Hälfte der aufgenommenen Nahrung aus Kohlenhydraten bestehen sollten.
Fett sollte generell nicht mehr als 30% der Nahrung ausmachen.

Essgewohnheiten

Essgewohnheiten
Bei diesem wichtigen Schritt, geht es letztendlich darum, das Erlernte anzuwenden. Z.B. haben die meisten Menschen beim Essenskauf bestimmte Rituale, nach denen sie gewisse Dinge, kaufen und andere eben nicht.
Auch gibt es Rituale, wie ein Mensch sich z.B. ein Brot schmiert.
Dies funktioniert oft gar nicht so sehr bewusst (fragen Sie sich einmal, wie oft Sie sich im Leben schon ein Brot geschmiert haben), sondern ist häufig über viele Jahre „antrainiert“.
Ziel der Therapie muss nun sein diese Verhalten umzutrainieren. Wenn man bewusst neue Lebensmittel (die den „alten“ gar nicht so unähnlich sind) ausprobiert, wird man mit Sicherheit früher oder später einige finden, die sowohl schmecken, als auch fettarmer sind, als die Gewohnten. Noch einmal sei hier betont, dass es nicht um Verbote geht (auch Süßigkeiten sind erlaubt), sondern um den verantwortungsvollen Umgang mit dem Wissen, was dem Patienten über die Adipositas vermittelt wurde.

Bewegung

Man kann nicht umhin zu sagen, dass jegliche Bemühungen zur Gewichtsreduktion durch regelmäßige Bewegung deutlich verbessert werden.
Es geht auch hier nicht um olympiareife Leistungen, sondern um den verantwortungsvollen Umgang des vermittelten Wissens.
Jede auch kleine Verhaltensänderung (z.B. kleine Wege zu Fuß und nicht mit dem Auto etc.) wird sich nachhaltig und positiv für den Patienten auswirken. Auch hier gilt es, sich realistische Ziele zu setzen, da es auch hier sonst die Gefahr gibt die Motivation zur Fortführung der Therapie zu zerstören.

Weitere Informationen

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Autor: Christoph Barthel Veröffentlicht: 21.05.2007 - Letzte Änderung: 22.10.2021