Bluterkrankheit

Die Bluterkrankheit / Hämophilie ist eine vererbbare Erkrankung des Blutgerinnungssystems. An der Bluterkrankheit Erkrankte weise schon bei kleinen Verletzungen größere Blutungen auf. wiederholte Gelenkeinblutungen können bei der Hämophilie zu Knorpelschäden und Gelenversteifungen führen.

Bluterkrankheit

Hämophilie, vererbtes Blutungsleiden, Blutgerinnungsfaktormangel,
Faktor VIII-Mangel, Faktor IX-Mangel, Bluter

Die Bluterkrankheit (Hämophilie) ist eine vererbbare Erkrankung des Blutgerinnungssystems, die in zwei Formen,
Hämophilie A und B, vorliegen kann:
Die betroffenen Patienten haben eine gestörte Blutgerinnung, die sich darin äußert, dass Blutungen bei kleinsten Traumen auftreten und die Blutungen nur schwer stillbar sind.

Gerinnungsfaktoren können nicht aktiviert werden, so dass der regelhafte Ablauf der Gerinnungskaskade nicht möglich ist.

Die Bluterkrankheit A kömmt häufiger (in 85% der Fälle) vor als die Form B (ca. 15%) und ist die schwerwiegendere der beiden Formen.

Die Aktivität des Faktor-VIII-Komplex ist bei der Hämophilie A eingeschränkt, da die Bildung des Faktors VIII-C in den Leberzellen reduziert ist.

Der Faktor VIII-C ist eine der beiden Untereinheiten des Faktor VIII-Komplexes: Der von-Willebrand-Faktor und der Faktor VIII-C bilden diesen gerinnungsfördernden Komplex in der Gerinnungskaskade. Der von-Willebrand-Faktor schützt den Faktor VIII-C vor zu schnellem Abbau.

Die Menge des funktionsfähigen Faktor-VIII-Komplexes ist folglich bei der Form A verringert.

Bei der Bluterkrankheit B erfolgt die Synthese des Gerinnungsfaktors IX in geringerem Maße, so dass seine Wirkung im Gerinnungsablauf fehlt und die Blutstillung beeinträchtig wird.

Das Auftreten der Bluterkrankheit in der Bevölkerung liegt für die Hämophilie A bei 1 zu 5.000 und für die Form B bei 1:15.000.
Dass vor allem Männer erkranken, liegt an der geschlechtsgebundenen
X-chromosomalen Vererbungsform des Gerinnungsdefekts (s. Ursache/Entstehung).

Die Blutgerinnung ist ein fein abgestimmtes System: Verschiedene Bestandteile des Blutes, die sogenannten Gerinnungsfaktoren, werden kaskadenartig nacheinander aktiviert, um die Blutstillung bei einer Verletzung zu ermöglichen.

Das Gerinnungssystem besteht aus der primären und der sekundären Blutstillung, die auch plasmatische Gerinnung genannt wird.

Kommt es zu einer Gefäßwandverletzung, verengt sich das betroffene Gefäß in einem ersten Schritt (= primäre Gerinnung). Anschließend bildet sich ein Propf (=Plättchenthrombus) an der verletzten Stelle, welcher von Blutplättchen (= Thrombozyten) gebildet wird, um eine erste Abdichtung des Gefäßes zu erreichen.

Durch die Bildung des Thrombus wird die plasmastische Gerinnung aktiviert:
Die Gerinnungskaskade kommt in Gang und durch das Zusammenspiel der verschiedenen Gerinnungsfaktoren bildet sich ein stabiler Wund- bzw. Gefäßverschluss aus.



Bei an Hämophilie erkrankten Männern liegt das Allel, welches die Erbinformationen für den Gerinnungsfaktor VIII-C (Hämophilie A) bzw. den Gerinnungsfaktor IX (Hämophilie B) trägt, nur in einfacher veränderter Form vor;

Frauen müssen diese genetische Veränderung auf beiden Allelen tragen, um erkrankt zu sein.

Besitzen Frauen ein fehlerhaftes und ein nicht-verändertes Allel, so nennt man sie Konduktorinnen für eine X-chromosomal vererbte Erkrankung wie die Hämophilie.

Die fehlerhaften Erbinformationen wirken sich bei der Hämophilie als Aktivitätsminderung des betroffenen Gerinnungsfaktors aus bzw. sie bewirken die reduzierte Gerinnungsfaktorproduktion.

Das X-Chromosom ist Träger des Erbguts für die Gerinnungsfaktoren der sekundären Blutstillung.

Ca. 70% der Hämophilie-verursachenden Mutationen im Erbmaterial werden familiär weitergegeben, 30% der Erkrankungen entstehen durch spontane Veränderungen (=Spontanmutationen) der Erbinformationen.

Symptome

Die Symptome bei den Formen einer Bluterkrankheit unterscheiden sich nicht:

  • Die Bluterkrankheit führt im Normalfall nur bei Männern zu klinischen Symptomen.
  • Es treten bei der Bluterkrankheit überschießende Blutungen auf, die nicht im Verhältnis zum vorangehenden, meist banalen Unfall (Trauma) stehen, wobei die Blutungszeit normal ist, aber typischerweise Nachblutungen auftreten, die beim Gesunden nicht vorkommen.
  • Man kann zwischen drei Ausprägungen der Bluterkrankheit unterscheiden, welche sich durch der Restaktivität der betroffenen Gerinnungsfaktoren definieren:
    1. schwere Hämophilie (Bluterkrankheit) mit unter 1% Restaktivität bzw. noch vorhandener Anteil des funktionsfähigen Faktors bei der spontane Blutungen auftreten und Gelenkblutungen vorkommen
    2. mittelschwere Hämophilie (Bluterkrankheit) mit einer Faktoraktivität, die zwischen
    1 und 5% der normalen Faktoraktivität liegt und dem Auftreten von Blutergüssen (=Hämatome) nach leichten Traumen
    3. leichte Hämophilie (Bluterkrankheit) bei der noch 5-15% Restaktivität vorhanden ist und bei denen Patienten von Symptomen wie Hämatome (Bluterguß) nach erheblichen Traumen und Nachblutungen nach Operationen berichten.

Lesen Sie mehr zum Thema: Was sind Ursachen für eine Hirnblutung

  • Frauen, die in der Regel nur eine veränderte Erbinformation für die Bluterkrankheit haben, weisen mit über 50% Restaktivität meist keine klinischen Symptome auf.
  • Die Patienten erleiden Einblutungen in große Gelenke wie dem Knie-, Hüft- oder Schultergelenk, wobei man von Hämarthrosen spricht. Die Blutung löst eine entzündliche Reaktion mit Reparaturprozessen im Gelenk aus, die zu einer Versteifung des Gelenks führen können.
  • Außerdem kann es zu Einblutungen in die Muskulatur und das Weichteilgewebe kommen. Die Einblutung führt zu einer Druckerhöhung in der Muskulatur bzw. dem Gewebe, da nun ein Mehr an Volumen vorhanden ist. Besonders an Armen und Beinen kann dies zu einem Kompartmentsyndrom führen:
    Der erhöhte Druck verursacht die Kompression von Gefäßen und Nerven, so dass die Extremitäten unterversorgt sind und großflächig Gewebe absterben kann. Ein Kompartmentsyndrom muss schnellstmöglich vom Chirurgen behandelt werden, um den Verlust der Extremität zu verhindern.
  • Blutungen in den Bauchraum treten auf, sie eine lebensgefährliche Situation für den Patienten darstellen.
  • Nach Operationen sind ungewöhnlich lang anhaltende Blutungen möglich.
    Darüber hinaus kann es zu lang anhaltenden Perioden mit Blutbeimengungen im Urin kommen. Hierbei droht eine Blutarmut, da der Patient, eventuell unbemerkt, konstant Blut verliert.
  • Besonders gefährlich sind Gehirnblutungen (= intrakranielle Blutungen), die bei 10% der an Hämophilie Erkrankten zum Tode führen. Mehr zu diesem Thema erfahren Sie auch unter unserem Thema Gehirnblutung.

Diagnose

Nach der Erfragung der Krankengeschichte des Patienten und der sorgfältigen körperlichen Untersuchung schließen sich weitere Schritte bei der Diagnose der Bluterkrankheit an:

In 2/3 der Fälle liegen in der Familie Hämophilie-Erkrankungsfälle vor, weshalb nach einer familiären Häufung der Erkrankung zu fragen ist, wenn sich der Patient mit Hämophilie-verdächtigen Symptomen beim Arzt vorstellt.
Die Patienten berichten von Blutergüssen, die Folge kleinster Verletzungen sind.

Man differenziert die Schwere der Bluterkrankheit in eine leichte, mittelschwere oder schwere Erkrankungsform.

Die Untersuchung einer Blutprobe liefert folgende, Hämophilie-typischen Ergebnisse:

Die Blutungszeit ist normal (= die primäre Gerinnung ist intakt), doch die Funktion der plasmatischen Gerinnung ist herabgesetzt, weshalb die sogenannte PTT-Zeit verlängert ist.
PTT steht für die partielle Thromboplastinzeit. Sie wird in laborchemischen Untersuchungen gemessen, um die Funktion der Faktoren I, II, V, VIII bis XII sowie XIV und XV zu überprüfen.

Da bei der Bluterkrankheit ein Faktor der Gerinnungskaskade fehlt, kann diese nicht in optimaler Weise ablaufen, woraus eine verlängerte Gerinnungszeit resultiert.
Um zwischen der Hämophilie A und B unterscheiden zu können, muss das Blut des Patienten auf die Faktoren VIII und IX untersucht werden, der fehlende der beiden Faktoren bestimmt über die Form der Bluterkrankheit.

Differentialdiagnose

Die Hämophilie muss gegen andere Störungen des Gerinnungssystems abgegrenzt werden, wobei vor allem das von-Willebrand-Jürgens-Syndrom zu nennen ist.
Der von-Willebrand-Faktor (vWF) wirkt zusammen mit dem Faktor VIII-C im

Faktor-VIII-Komplex und bedingt die Hemmung des vorzeitigen Faktor-VIII-Abbaus, außerdem fördert der Faktor die Gerinnung, indem er die Blutplättchenhaftung an der verletzten Gefäßstelle vermittelt. Somit ist der vWF wichtiger Bestandteil sowohl der primären als auch der sekundären Gerinnung.

Liegt das von-Willebrand-Jürgens-Syndrom vor, so findet die Bildung des vWFs in den Gefäßwandzellen nur in geringem Maße oder in fehlerhafter Weise statt. Die verringerte Bildungsrate bzw. die unzureichende Funktion des
von-Willebrand-Faktors ist durch Mutationen des Gens für die Faktor-Bildung bedingt. Die Vererbung des Syndroms bzw. der ursächlichen Genmutation wird autosomal dominant vererbt: Die Erbinformation für den vWF liegt auf Chromosom Nummer 12, welches kein Geschlechtschromosom ist. Beim dominanten Erbgang unterdrückt ein krankes Allel die Wirkung des zweiten, gesunden Allels, so dass die Erkrankung schon durch die Mutation eines Gens hervorgerufen wird und klinische Symptome verursacht.

Die Patienten leiden typischerweise an Haut- und Schleimhautblutungen, weniger an spontan auftretenden Blutungen wie die Hämophilie-Patienten.

Die Krankheit fällt oftmals erst auf, wenn nach einer Operation verlängerte Blutungen entstehen.

Die Blutungszeit der Patienten nach einer Verletzung ist verlängert und auch die Werte der plasmatischen Gerinnung sind krankhaft verändert (verlängerte PTT) .

Das von-Willebrand-Jürgens-Syndrom wird durch die Gabe von Desmopressin oder die Ersatzgabe von Faktor VIII und vWF zur Stabilisierung der Gerinnung (zur näheren Erklärung siehe unter „Therapie der Hämophilie“).

Behandlung

Blutungen sollten bei den Erkrankten der Bluterkrankheit unbedingt vermieden werden, weshalb der Patient keine Medikamente erhalten, die die Blutgerinnung hemmen wie z.B. Acetylsalicylsäure (Aspirin®) und es sollten keine intramuskulären Injektionen (=Spritzen in die Muskulatur) erfolgen.

Kommt es zu einem Trauma mit Blutung, ist die sorgfältige lokale Blutstillung von großer Bedeutung, um das Einbluten in Nachbargewebe zu verhindern.

Die medikamentöse Therapie der Bluterkrankheit besteht in einer Ersatzgabe von Gerinnungsfaktoren, die der Körper selbst nicht in ausreichendem Maße bilden kann.

Patienten mit einer leichten Bluterkrankheit erhalten die Gerinnungsfaktorenpräparate bei Bedarf, d.h. wenn ein Trauma mit Blutung eingetreten ist oder eine große Operation geplant ist, nach der es zu schwerem Nachbluten kommen kann.
Bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Bluterkrankheit sollte ein prophylaktischer Faktorenersatz vorgenommen werden, d.h. eine dauerhafte Gabe des fehlenden Faktors sollte erfolgen, bevor es zu Blutungen kommt.

Liegt eine Restaktivität des Faktors VIII von über 15% bzw. des Faktors IX von über 20-25% vor, ist keine regelmäßige Therapie notwendig; diese Patienten erhalten den fehlenden Gerinnungsfaktor, falls eine spontane Blutung aufgetreten ist oder vor geplanten Operationen.

Besonders die dauerhafte Therapie sowie die vor Operationen kann in Form einer Heimselbstbehandlung erfolgen, bei der der Patient den fehlenden Gerinnungsfaktor selbst appliziert.

Für Patienten mit der leichten Hämophilieform gibt es eine Therapie-Alternative:

Der Wirkstoff Desmopressin (z.B. Minirin®) führt zu einer Ausschüttung des
Faktors VIII, der in den Gefäßwänden gespeichert ist.
Das Medikament kann aber jeweils nur für wenige Tage gegeben werden, da nach einer Stimulation der Faktorfeisetzung der Speicher in den Gefäßwänden erschöpft ist und wieder nachgebildet werden muss.

Bei akuten Therapie der Bluterkrankheit gibt es drei Möglichkeiten zur Intervention:

  1. Der Patient erhält aktivierte Prothrombin, einen Stoff, der die Blutgerinnung fördert, so dass eine schnellstmögliche Blutstillung erreicht wird.
  2. Eine weitere Therapieoption besteht in der Gabe von Faktor-VII-Präparaten. Dieser Faktor steht am Anfang der Gerinnungskaskade und leitet deren regelhaften Ablauf ein.
  3. Die 3. Therapiemöglichkeit ist die Applikation von tierischem Faktor VIII-C, um die Blutstillung beim Patienten zu ermöglichen.

Komplikationen

Die Ersatzgabe (=Substitution) von Gerinnungsfaktoren kann zu einer Antikörper-Bildung gegen eben diese Faktoren führen, so dass die Substitution in gleich bleibender Dosis keine therapeutischen Effekte mehr hat, man spricht deshalb auch von der Hemmkörperbildung.

Abhängig von der Konzentrationsbestimmung der Antikörper im Patientenblut kann eine hochdosierte Gabe von Faktor VIII erfolgen, die zum Ziel hat, wieder eine Toleranz gegenüber dieses Faktors zu erreichen und die Antikörperbildung auszuschalten. Dieses Verfahren sollte nur in spezialisierten Zentren durchgeführt werden.

Es besteht ein geringes Risiko, durch den Ersatz der Gerinnungsfaktoren an Hepatitis zu erkranken oder sich mit dem HI-Virus (=HIV) zu infizieren, da die Faktoren aus menschlichen Blutprodukten gewonnen werden.

Ein weiteres Risiko der Substitutions-Therapie bei einer Bluterkrankheit ist das Auftreten allergischer Reaktionen.

Ursache

Die Bluterkrankheit an beiden Formen der Hämophilie wird X-chromosomal rezessiv vererbt.

Beim sogenannten X-chromosomalen Vererbungsmodus der Bluterkrankheit liegt die Erbinformation für ein Genprodukt auf dem Geschlechtschromosom X, welches bei Frauen in doppelter und bei Männern in einfacher Zahl vorliegt.

Für jede Erbinformation gibt es zwei Genausprägungen, die sogenannten Allele. Liegt ein rezessiver Vererbungsgang vor, müssen beide Allele von einer Mutation betroffen sein, um die Krankheit zu verursachen: Rezessiv bedeutet, dass die krankhaft veränderte Erbinformation von einer gesunden, d.h. nicht veränderten, Information unterdrückt wird und nicht zu einer Erkrankung führt. Eine rezessive Erberkrankung bildet sich also nur dann aus, wenn beide Allele fehlerhafte Erbinformationen tragen.
Ist nur eine Genausprägung verändert, komm es nicht zur Bluterkrankheit.

Vererbung

Ist nur eine Genausprägung verändert, komm es nicht zur Erkrankung.

Da Männer im Geschlechtschromosomenpaar nur ein X-Chromosom besitzen und daher Informationen für Genprodukte auf ihrem X-Chromosom nur in einfacher Ausprägung vorliegen, erkranken sie bereits beim fehlerhaften Vorhandensein nur eines Allels.

Frauen hingegen, die zwei X-Chromosomen als Geschlechtschromosomen besitzen, erkranken erst dann, wenn beide Chromosomen fehlerhafte Genausprägungen für das Genprodukt besitzen.

Weitere Informationen

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Autor: Dr. Nicolas Gumpert Veröffentlicht: 06.03.2008 - Letzte Änderung: 12.01.2023