Akute myeloische Leukämie (AML)

Synonyme im weiteren Sinne

Leukämie, weisser Blutkrebs, Auerstäbchen, Bluterkrankung

Definition

Diese Leukämieart gehört zu den akuten Leukämien mit raschem Krankheitsverlauf. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die entarteten Zellen aus einem sehr frühen Entwicklungsstadium stammen, also unreif sind. Diese Zellen entstehen aus einer Zellreihe, die aus dem Knochenmark stammt (myeloisch). Die Zellen der frühen Entwicklungsstufe werden Blasten genannt. Diese Blasten vermehren sich im Knochenmark und im Blut.

Gestörte Ausreifung

Im Rahmen der akuten myeloischen Leukämie kommt es zu einer unkontrollierten Vermehrung unreifer und funktionsloser Blut-Vorläuferzellen im Knochenmark.

Bei gesunden Menschen, herrscht eine genaue Regulierung und Balance zwischen Entstehung und Ausreifung bzw. Differenzierung zu voll funktionsfähigen Blutzellen. Im Gegensatz dazu, ist die Ausreifung bei AML gestört.

Seit einigen Jahren macht die Therapie der akuten Promyelozytenleukämie, einer Sonderform der AML, sich diese Tatsache zu Nutzen. So fördert das Chemotherapeutikum ATRA die Ausreifung der Leukämiezellen zu funktionstüchtigen Blutzellen.

Häufigkeit

Auf 100000 Einwohner kommen drei bis vier Neuerkrankungen pro Jahr. Es sind vor allem erwachsene Patienten, die von der Erkrankung betroffen sind, hier beträgt die Ziffer der Neuerkrankungen 15 auf 100000 Einwohner. Die Rate der AML- Leukämie bei Kindern liegt bei ca. 20% der akuten Leukämien.

AML bei Kindern

Kinder erkranken eher selten an akuter myeloischer Leukämie. Nur etwa 20% der kindlichen Leukämien fallen in diese Unterart. Im Kindesalter lässt sich die akute lymphatische Leukämie (ALL) wesentlich häufiger beobachten.

Prinzipiell kann die AML in jedem Lebensalter auftreten, besonders häufig erkranken jedoch Säuglinge und Kleinkinder in den ersten beiden Lebensjahren. Aus bisher ungeklärter Ursache, erkranken Jungen häufiger als Mädchen. Kinder mit Down-Syndrom (Trisomie 21) haben ein deutlich erhöhtes Erkrankungsrisiko. Wie bei erwachsenen Patienten, entwickeln auch betroffene Kinder innerhalb weniger Wochen erste, identische Krankheitszeichen. Kleinkinder fallen gelegentlich durch Spielunlust und Lauffaulheit auf. Zur Diagnosesicherung erfolgt die Knochenmarkpunktion in Narkose. Haupttherapiebestandteil bildet die Chemotherapie. Bei Befall des zentralen Nervensystems muss unter Umständen eine Bestrahlung des Schädels erfolgen.

Ursachen

Siehe allgemeines Kapitel über Leukämie.

Krankheitsentstehung

Es wurden vor allem Unregelmäßigkeiten (Aberrationen) im menschlichen Erbgut (Chromosomensatz) als Auslöser der AML erfasst und der Befund der Zellgenetik stellt darüber hinaus den wichtigsten Faktor für die Prognose des Patienten. 

Es gibt Aberrationen mit guter und Aberrationen mit schlechter Prognose. Das unkontrollierte, ungebremste Wachstum der entarteten Vorläuferzellen ist so ausgeprägt, dass andere Zellen bzw. Vorläuferzellen im Knochenmark keinen Platz mehr haben, um sich zu entwickeln. Diese „normalen“ Zellen werden also verdrängt. Das erklärt die häufig auftretende Armut an roten Blutkörperchen (Anämie) bei AML- Patienten. Wenn im Knochenmark mehr als 30 % von den Blasten vorhanden sind, dann ist die Definition einer akuten Leukämie gegeben.

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Symptome

Es treten vermehrtes nächtliches Schwitzen, Fieber, Gewichtsverlust, Appettitlosigkeit, Leistungsknick und Knochenschmerzen auf. Außerdem kommt es zur Blutarmut (Anämie); deren Symptome sind dann Hautblässe, Leistungsknick, Herzrasen (Tachykardie) und selten sogar Brustenge (Angina pectoris). Es kommt durch das verdrängende Wachstum der entarteten Zellen zu einem Mangel an „normalen“ Abwehrzellen. Die Folge sind vermehrte Infektionen, wie z.B. der Lunge (z.B. Lungenentzündung) oder der Nierenbecken (Nierenbeckenentzündung). Die Patienten bekommen häufiger Fieber. Durch die Armut an Blutplättchen (Thrombozytopenie) kommt es zu vermehrten Blutungen, auch nach sog. Bagatelltraumen, wie z.B. bei so alltäglichen Tätigkeiten wie Zähneputzen. Die Folge sind dann Symptome wie Zahnfleischbluten, Nasenbluten und Blutspucken. Es werden selten Symptome wie Zahnfleischvergrößerung (Gingivahyperplasie) oder Doppelbildersehen beobachtet. Der behandelnde Arzt sollte ebenso eine Vergrößerung der Milz und der Leber (Hepatosplenomegalie) ausschließen.
Leukämie kann man also an vielen verschiedenen Anzeichen erkennen.

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Diagnose

Zu den ersten Maßnahmen gehört die einfache Blutentnahme. Damit werden die Zellzahlen der Blutplättchen (Thrombozyten), der roten Blutkörperchen (Erythrozyten) und der weißen Blutkörperchen (Leukozyten) bestimmt. Da die Gruppe der Leukozyten mehrere unterschiedliche Zelltypen (Lymphzellen, Granulozyten) enthält, wird ein sog. Differentialblutbild erstellt, welches eine genaue Analyse dieser Zellen gibt. Dadurch wird dann eine absolute oder relative Ab- oder Zunahme dieser Zellen erkannt. Die oben genannten Untersuchungen ergeben im Falle der AML z.B. eine niedrige Anzahl von roten Blutkörperchen (Anämie) und eine hohe Anzahle von weissen Blutkörperchen (Leukozytose).

Lesen Sie mehr zum Thema: Knochenmarkpunktion

Mikroskopische Untersuchung

Mit Hilfe des Mikroskopes kann eine Blut- oder Knochenmarkprobe analysiert werden. Wenn sog. Auerstäbchen in den untersuchten Zellen zu finden sind, dann ist die AML bewiesen. Diese Auerbachstäbe ähneln kleinsten Stäben in den Zellleibern.

Knochenmarkspunktion

Zur Analyse wird, bevorzugt aus dem Becken, eine Probe entnommen. Diese Probe wird dann gefärbt (zytochemische Färbung) und weiter analysiert. Außerdem werden die entnommenen Zellen bezüglich ihrer Genetik untersucht, um Unregelmäßigkeiten (Aberrationen) in der Zellgenetik zu finden (Zyto- und Molekulargenetik). Die Befunde der Zytogenetik spielen eine grosse Rolle für die Prognose. Eine Verbindung (Translokation) zwischen den Genträgern (Chromosomen) 8 und 21 ist eher positiv für die Prognose zu bewerten, während der Verlust von Chromosom 5 z.B. eine sehr schlechte Prognose besitzt.

Therapie

Chemotherapie:

Ziel dieser Therapie ist mit wachstumshemmenden Substanzen, die Leukämiezellen zu zerstören. Das auftretende Problem dabei ist, dass die Substanzen nicht nur auf Leukämiezellen wirken, sondern ebenso auf alle schnell wachsenden Zellen im Körper, z.B. andere blutbildende Zellen, Haarzellen (deswegen entsteht die Nebenwirkung des Haarausfall bei Chemotherapie) und, besonders problematisch, die Keimzellen (z.B. Spermienzellen).

Stammzelltransplantation:

Es gibt zwei Wege der Stammzellspende: Einerseits können Familienmitgliedern oder Fremdspendern (allogen), sollte es von den Gewebemerkmalen her passen, Stammzellen entnommen werden, die dem Patienten verabreicht werden. Aus diesen Stammzellen bilden sich dann „normale“ gesunde Blutzellen. Vorher muss jedoch eine Hochdosischemotherapie durchgeführt werden, um möglichst alle entarteten Zellen zu zerstören (Prinzip der Hochdosischemotherapie siehe allgemeinen Teil zur Leukämie). Andererseits kann dem Patienten selber (autolog), wenn dieser sich zwischenzeitlich in einem Stadium der sog. Vollremission befindet, d.h. wenn die meisten entarteten Zellen zerstört sind, gesunde Stammzellen entnommen werden, um ihm diese bei einer Rückkehr der Erkrankung wieder zu verabreichen. Allerdings ist die autologe Stammzelltransplantation noch in den Anfängen und wird eher in klinischen Studien angewandt.

Lesen Sie mehr zum Thema Stammzelltransplantation

Spezielle Medikamente:

Das Medikament Gemtuzumab hat in den letzten Jahren sehr gute Ergebnisse in der Behandlung von AML gezeigt.

Pflege während der Chemotherapie

Im Rahmen der Chemotherapie leiden Betroffene unter vielen z.T. starken Nebenwirkungen. In dieser Situation besitzt möglichst optimale Pflege einen hohen Stellenwert und kann viele Nebenwirkungen lindern:

  • Übelkeit und Erbrechen: Übelkeit und Erbrechen stellt eines der Hauptprobleme vieler AML Patienten unter Chemotherapie dar. Neben medikamentösen Maßnahmen, können auch z.B. Aroma-Öle, Kaugummi oder frische Raumluft Linderung schaffen.
  • Verhinderung von Infektionen
    • Unter der Chemotherapie kommt es zur vorübergehenden Unterdrückung des Immunsystems. Betroffene Patienten haben somit nahezu keine körpereigenen Abwehrkräfte und sind besonders anfällig für Infektion. Strenge Hygienemaßnahmen sind also das „A und O“. Unter Umständen muss sogar eine sogenannte „Umkehrisolation“ des Patienten erfolgen. Das bedeutet, dass Klinikmitarbeiter oder Angehörige nur in spezieller Schutzkleidung das Krankenzimmer betreten dürfen. So soll die Anzahl an potentiell gefährlichen Bakterien, Viren oder Pilzen verringert werden.

Alternative Behandlung

Nicht selten suchen Betroffene Möglichkeiten einer alternativen Behandlung der akuten myeloischen Leukämie. Insbesondere in Zeiten des Internets, lässt sich schnell eine Vielzahl an scheinbar „schonenderen”, „alternativen“ oder „natürlichen“ Therapien finden.

Darf man diesen Versprechen jedoch Glaube schenken? Nein, unter gar keinen Umständen. Ausschließlich Chemotherapie und Knochenmarkstransplantation stellen eine adäquate und erfolgsversprechende Therapie dar!

In erster Linie, wenden sich viele Betroffene aus Angst vor den starken Nebenwirkungen der Chemotherapie an alternative „Behandlungsangebote“. Da die AML jedoch sehr aggressiv verläuft, muss leider auch die Behandlung dementsprechend intensiv und aggressiv gestaltet werden.

Angeblich „schonende“ oder „alternative“ Behandlungen sind also definitiv keine Option seriöser Mediziner. Im schlimmsten Fall, versterben Patienten bei dem Versuch, alternative Behandlungen zu durchlaufen.

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Was passiert, wenn man keine Therapie / Behandlung macht?

Wie alle akuten Leukämien, ist auch die AML durch einen sehr aggressiven Krankheitsverlauf gekennzeichnet. Unbehandelt, führt sie innerhalb weniger Wochen zum Tod. Deshalb ist es extrem wichtig, dass nach schneller Diagnosestellung unmittelbar mit der Behandlung begonnen wird.

Wenn man sich nun gegen eine Behandlung entscheiden würde, käme es innerhalb kürzester Zeit zu einem massiven Anstieg der Leukämiezellen. Gesunde Blutzellen würden weitgehend verdrängt werden. Mit dem Verlust gesunder Blutzellen käme es schließlich zu zahlreichen, alle potentiell tödlichen Symptomen. Dazu zählen unter anderem Multiorganversagen, Blutvergiftung, Gefäßverschlüsse und innere Blutungen.

Lebenserwartung / Prognose / Heilungschancen

Leider ist es nicht möglich, allgemeingültige Aussagen bezüglich der Heilungschancen zu fällen. Die Prognose variiert und hängt stark von individuellen Einflussgrößen ab. So haben folgende Faktoren einen eher negativen Einfluss auf die Prognose:

  • Alter > 60 Jahre
  • Zahl der weißen Blutkörperchen > 100.000 / Mikroliter bei Therapiebeginn
  • Vermindertes Ansprechen auf die Therapie („therapierefraktär“)
  • Gehäufte Chromosomenveränderungen

Dennoch führt das Vorhandensein eines oder mehrerer dieser „negativ prognostischen Faktoren“ nicht automatisch zu einer Verringerung der Heilungschancen bei AML. Konkrete Aussagen können daher nur von dem behandelnden Arzt bzw. der behandelnden Ärztin getroffen werden.

Weiterhin ist erwähnenswert, dass sich die Heilungschancen der AML innerhalb der letzten Jahrzehnte stark verbessert haben.
In erster Linie, ist dies den sogenannten „Therapieoptimierungsstudien“ zu verdanken. So werden in Deutschland fast alle AML-Patienten im Rahmen dieser klinischen Studien behandelt. Dadurch erhalten Patienten Zugang zu neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und modernen Medikamenten. Gleichzeitig bedeutet „Therapieoptimierungsstudie“ nicht, dass die eingesetzten Medikamente experimentell oder in der Erprobungsphase sind. Stattdessen ist es das Ziel, möglichst optimale Anwendungsbereiche, Dosierungen oder Kombinationen zugelassener und bewährter Chemotherapeutika herauszufinden. Selbstverständlich ist die Teilnahme an den Studien freiwillig.

In Deutschland beteiligen sich nahezu alle Kliniken an Therapieoptimierungsstudien, um die Prognose der AML langfristig zu verbessern.

Lesen Sie mehr zu diesem Thema unter Ist Leukämie heilbar?

Weitere Informationen

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Autor: Dr. Nicolas Gumpert Veröffentlicht: 15.09.2007 - Letzte Änderung: 19.07.2023