Endokrine Orbitopathie

Synonym

Endokrine Ophthalmopathie

Einleitung

Endokrine Orbitopathie ist eine Erkrankung, die die Augen mitsamt ihren Augenhöhlen (der sogenannten Orbita) betrifft. Man zählt sie zu der Gruppe der organspezifischen Autoimmunerkrankungen. Dazu gehören sämtliche Krankheiten, die durch fehlgeleitete Prozesse und Funktionsweisen des körpereigenen Immunsystems den eigenen Körper und seine Organe angreifen. Dieser Angriff kann entweder auf den gesamten Körper stattfinden (das bezeichnet man dann als organunspezifisch) oder auch auf einzelne Organe oder Organsysteme beschränkt sein (also organspezifisch), wie es bei der Endokrinen Orbitopathie der Fall ist. Die Großzahl der Patienten, die an einer Endokrinen Orbitopathie leiden, bildet dieses Symptom im Rahmen einer Schilddrüsenfehlfunktion aus.

Im Allgemeinen kann man sagen, dass Frauen von Erkrankungen der Schilddrüse wesentlich öfter betroffen sind als Männer.

Erkennen einer endokrinen Orbitopathie

Was sind die Symptome einer endokrinen Orbitopathie?

Die Endokrine Orbitopathie ist auch für den medizinischen Laien relativ einfach und schnell zu erkennen: die Augen des betroffenen Patienten treten aus ihrer Augenhöhle hervor (im Fachjargon bezeichnet man das als Exophthalmus) und die oberen Augenlider erscheinen nach oben hochgezogen (auch Lidretraktion genannt), sodass die Augen unnatürlich groß und weit geöffnet erscheinen. Die Größe und das Volumen der Augen selbst verändern sich bei der Endokrinen Orbitopathie jedoch nicht. Die beschriebenen Veränderungen lassen sich auf eine sowohl strukturelle als auch volumenmäßige Veränderung des Muskelgewebes, des Bindegewebes und des Fettgewebes, das sich bei einem jeden von uns hinter den Augen befindet, zurückführen. Durch dessen Zunahme und Anschwellen werden die Augäpfel sozusagen nach vorne herausgedrückt und erwecken so den Eindruck, selbst angeschwollen zu sein. Fast immer tritt eine Endokrine Orbitopathie in Kombination mit anderen Symptomen auf. Meistens sind das eine vergrößerte Schilddrüse (ein sogenanntes Schilddrüsen-Struma) und Herzrasen (eine Tachykardie). Diese drei Symptome fasst man landläufig auch als sogenannte „Merseburger Trias“ zusammen und sie treten klassischerweise bei der Basedow-Krankheit auf. Die Bezeichnung dieser Symptomtrias leitet sich von ihrem Erstbeschreiber, dem Arzt Carl Adolph von Basedow aus Merseburg ab, der sie im Jahre 1840 unter diesem Namen wissenschaftlich publizierte.

Eine Endokrine Orbitopathie tritt in der Regel auf beiden Seiten auf, kann jedoch prinzipiell auch nur an einem Auge vorkommen. Meistens sind nicht beide Augen gleich stark betroffen (hier ist sich die Fachliteratur jedoch uneinig über die Studienlage).

Wie wird eine endokrine Orbitopathie diagnostiziert?

Die Diagnose Endokrine Orbitopathie wird vom untersuchenden Arzt in erster Linie klinisch gestellt, das heißt, dass das Erscheinungsbild des Patienten bereits so eindeutig auf die Krankheit hinweist, dass die Laboruntersuchungen im Grunde nur noch der Bestätigung dienen. Der Exopthalmus (Hervortreten des Augapfels), typischerweise in Kombination mit Herzrasen und einer vergrößerten Schilddrüse, ist typisch für den Morbus Basedow.

Die weitere Diagnostik wie etwa Blutuntersuchungen und bildgebende Verfahren werden benutzt, um die Schwere der Krankheit ermitteln zu können und den Verlauf zu beurteilen. Als besonders geeignet erwies sich die Kernspinresonanzspektroskopie (NMR). Ausgeschlossen werden muss in jedem Fall, dass ein hinter dem Auge gelegener Tumor für den Exophthalmus verantwortlich ist.

Lässt sich in den Blutanalysen keine hormonelle Beteiligung feststellen, handelt es sich auch nicht um eine Endokrine Orbitopathie. Um den Verlauf der Endokrinen Orbitopathie einheitlich dokumentieren zu können, teilt man sie in sechs verschiedene Stadien ein:

  • Stadium 1: das Zurückziehen der oberen Augenlider
  • Stadium 2: die Lider schwellen an und die Bindehaut der Augen entzündet sich
  • Stadium 3: Exophthalmus
  • Stadium 4: die Augenmuskeln sind in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt, es kommt zu Doppelbildern
  • Stadium 5: die Hornhaut weist erste Schäden auf
  • Stadium 6: durch eine Kompression der Sehnerven kommt es zu einer Verschlechterung des Sehvermögens, möglicherweise zum Grünen Star (Glaukom)

Behandeln einer endokrinen Orbitopathie

Wie wird eine endokrine Orbitopathie behandelt?

Eine Ursachentherapie konnte bis heute leider noch nicht entwickelt werden. Es ist jedoch möglich, die Symptome zu behandeln und so den Patienten zu helfen. Als Mittel der ersten Wahl gilt hier Cortison. Ist die Wirkung noch nicht ausreichend, stehen noch weitere Präparate zur Verfügung. Um die Wirksamkeit der Therapie zu maximieren, ist es wichtig, dass eine interdisziplinäre Zusammenarbeit erfolgt, insbesondere der Fachbereiche der Inneren Medizin, der Strahlentherapie, der Augenheilkunde und spezialisierten Chirurgen.

Auch das Aufsuchen eines Psychologen wird in vielen Fällen von den Patienten als sehr erleichternd und entlastend beschrieben.

Allen Bemühungen zum Trotz lässt sich leider nur bei etwa 30 Prozent aller Betroffenen eine Besserung der Symptomatik erzielen. Bei 60 Prozent bleibt der Zustand unverändert und bei 10 Prozent ist sogar eine Verschlechterung zu verzeichnen. Die therapeutischen Maßnahmen zielen in erster Linie darauf ab, die entzündlichen Prozesse in der Augenhöhle einzudämmen und Folgeschäden an den Augen zu verhindern.

Durch das ständige Hervorstehen der Augen und den mitunter unvollständigen Lidschluss ist es nötig, die Augen künstlich feucht zu halten, um ein Austrocken und Einreißen der Hornhaut zu verhindern. Spezielle Augentropfen und Augensalben können da Abhilfe schaffen.

Zusätzlich muss die Schilddrüsenfehlfunktion (so sie denn vorhanden) behandelt werden. Eine hochdosierte Cortison-Therapie birgt jedoch auf lange Sicht auch gewisse Risiken und Nebenwirkungen: es kann zu einer Gewichtszunahme und Stimmungsschwankungen kommen oder Magengeschwüre können sich bilden).

Neueste Studien zeigen, dass eine regelmäßige Einnahme von Selen eine Verlangsamung des Fortschreitens der Endokrinen Orbitopathie bewirken kann. Noch gehört es allerdings nicht zur Standardtherapie in Deutschland.

Vorbeugen einer endokrinen Orbitopathie

Was sind die Ursachen einer endokrinen Orbitopathie?

Dass es den Medizinern noch immer nicht möglich ist, die Endokrine Orbitopathie kausal zu therapieren, liegt nicht zuletzt auch darin begründet, dass die genauen Ursachen der Krankheit bis heute noch nicht gänzlich erforscht sind.

Am wahrscheinlichsten veranlasst eine vererbte Autoimmunkrankheit die körpereigenen Zellen des Immunsystems zur Bildung von Autoantikörpern gegen die sogenannten Thyreotropin-Rezeptoren. Diese Rezeptoren sind die „Andockstellen“ für das körpereigene Hormon Thyreotropin (kurz TSH genannt), das ausgeschüttet wird, um die Schilddrüse zum Wachstum anzuregen. Diese speziellen Thyreotropin-Rezeptoren finden sich jedoch nicht ausschließlich in der Schilddrüse, sondern eben auch im Gewebe der Augenhöhle, wo sie genauso mit Wachstum auf das ausgeschüttete Hormon reagieren können.

Eine Endokrine Orbitopathie lässt sich bei etwa zehn Prozent aller Menschen beobachten, die an einer Form von Schilddrüsenerkrankung leiden. In über 90 Prozent tritt sie im Rahmen eines Morbus Basedow auf und in etwa 60 Prozent in Kombination mit einer Schilddrüsenüberfunktion (einer sogenannten Hyperthyreose).

Eine Endokrine Orbitopathie muss aber nicht zwangsläufig zeitgleich mit einer Schilddrüsenerkrankung auftreten, es kann sowohl sein, dass sie erst Jahre später auffällig wird oder auch schon sehr viel früher. Deshalb gehen Wissenschaftler auch davon aus, dass die Endokrine Orbitopathie ihre Ursachen außerhalb der Schilddrüse hat und den gleichen Autoimmunprozessen unterliegt wie der Morbus Basedow selbst.

Bekannt ist, dass sowohl genetische Veranlagung, als auch Einflüsse der Umwelt von Relevanz für die als äußerst komplex zu bezeichnende Krankheit sind. Es hat sich herausgestellt, dass Patienten unter einer Radiojodtherapie bisweilen eine Endokrine Orbitopathie entwickeln können beziehungsweise eine bereits bestehende sich in ihrem Verlauf deutlich verschlechtert.

Seltener ist das gemeinsame Auftreten einer Endokrinen Orbitopathie und einer Hashimoto-Thyreoiditis (auch als Morbus Hashimoto bekannt) oder gänzlich ohne jedwede Beteiligung der Schilddrüse.

Starker Nikotinkonsum wirkt sich negativ sowohl auf die Stärke der Krankheit aus als auch auf deren klinischen Verlauf.

Verlauf einer endokrinen Orbitopathie

Wie verläuft eine endokrine Orbitopathie?

Die klinischen Charakteristika, die mit der Krankheit einhergehen, sind in ihrem Verlauf dynamisch und in erster Linie gekennzeichnet von erhöhten Entzündungswerten und der strukturellen Veränderung des Gewebes hinter den Augen und der Augenmuskeln. Bei manchen Patienten treten die Augen so stark hervor beziehungsweise werden die oberen Augenlider so stark nach oben weggezogen, dass ein kompletter Lidschluss nicht mehr möglich ist. In diesen Fällen spricht man dann von einem Lagophthalmus. Dieser wiederum begünstigt die Entstehung von Hornhautgeschwüren..

Allgemein ist der Verlauf der Endokrinen Orbitopathie bei jedem Patienten unterschiedlich stark und die Krankheit auch nicht immer gleichbleibend aktiv. Abgesehen von der organischen und funktionellen Begleitproblematik bei dieser Krankheit, ist auch der kosmetische Aspekt nicht zu vernachlässigen. Die Patienten fühlen sich oftmals stigmatisiert und im Alltagsgeschehen gemieden, was zu einer sehr großen psychosozialen Belastung für den einzelnen führt. Die Wissenschaft konnte zwar im Laufe der Zeit mehrere Behandlungsmethoden etablieren, die die Symptome und die klinische Problematik der Endokrinen Orbitopathie bekämpfen. Jedoch ist es bisher noch nicht möglich, die Ursachen der Krankheit zu beheben. Es existiert also derzeit noch keine Kausaltherapie.

Die Ausbildung einer Endokrinen Orbitopathie das Ergebnis von äußerst komplexen, krankhaft verändert ablaufenden Immunprozessen im Körper. Ausgelöst werden diese durch die sogenannten B-Lymphozyten und autoreaktive T-Lymphozyten (weiße Blutkörperchen), die für eine erhöhte Produktion von Antikörpern sorgen. Diese Autoantikörper richten sich gegen die Strukturen der Thyreotropin-Rezeptoren.

Sogenannte Fibroblasten, eine spezielle Zellart, die sich im Gewebe hinter den Augen befinden, reagieren sehr stark auf Entzündungsreize. Sie bewirken eine vermehrte Bildung von Fettzellen und eine Volumenzunahme des Gewebes.

Denselben Effekt kann auch ein übermäßiger Nikotinkonsum bewirken.

Durch diese vom körpereigenen Immunsystem ausgelösten Entzündungsprozesse schwillt das gesamte Gewebe hinter den Augen immer mehr an und drückt, da es nirgendwo anders hin ausweichen kann, dadurch den Augapfel immer weiter nach vorne heraus. Es entsteht ein Exophthalmus (Hervortreten des Augapfels). Durch die permanente Überdehnung verlieren auch die Augenmuskeln an Kraft und Stabilität und die Patienten leiden in Folge an Doppelbildern. Ein weiteres klassischerweise auftretendes Symptom ist außerdem noch ein diffuses Wachstum des Fettgewebes im Bereich der Augen, auch als Lipomatose bezeichnet.

Autor: Dr. Nicolas Gumpert Veröffentlicht: 21.10.2015 - Letzte Änderung: 25.07.2023