Therapie einer Polyneuropathie

Einleitung

Die Polyneuropathie ist ein zumeist chronisch verlaufendes Nervenleiden. Es sind immer mehrere Nerven betroffen und in ihrer Funktion eingeschränkt. Dies zeigt sich häufig in Empfindungsstörungen oder Schmerzzuständen, die mehr oder weniger heftig auftreten können. Die Ursache für eine Polyneuropathie liegt in der Regel in einer vorausgegangenen Grunderkrankung. Spitzenreiter sind hierbei Diabetes mellitus, Alkoholabhängigkeit und Vitaminmangel. Auch spezielle Infektionen können Neuropathien auslösen. Die Therapie stellt sich oftmals kompliziert dar. Grundsätzlich muss die verantwortliche Grunderkrankung behandelt werden, jedoch sollte ebenfalls eine Schmerzreduktion angestrebt werden. Besonders für letzteres Ziel wurden verschiedenste Wege gefunden, sowohl auf medikamentöser Basis als auch auf Grundlage interventioneller Therapie.

Leitlinien

Bezüglich der pharmakologischen Therapie von „chronischen neuropathischen Schmerzen“ wurden verschiedene Therapieziele verfasst, die möglichst im Laufe der Behandlung erfüllt werden sollten.

Die Schmerzen des Patienten sollten nach seinem subjektiven Empfinden mindestens 30 bis 50 Prozent reduziert und die Qualität des Schlafes verbessert werden. Indem durch die Therapie soziale und berufliche Interaktionen und Aktivitäten erhalten bleiben oder gar wieder aufgenommen werden können, steigt die Lebensqualität des Patienten.

Alle Ziele der Therapie bei Polyneuropathie müssen im Voraus mit dem Patienten besprochen werden. Die Erwartungen dürfen nicht zu weit in die Höhe steigen, um spätere Enttäuschungen zu vermeiden. Solche emotionalen Stresssituationen wirken sich negativ auf das Schmerzempfinden aus und können eine Verschlimmerung hervorrufen.

Durch eine Therapie mit Medikamenten kann durchschnittlich eine Schmerzreduktion von 50 bis 80 Prozent herbeigeführt werden. Eine vollständige Schmerzbefreiung ist selten und sollte deshalb zwar angestrebt, aber keinesfalls versprochen werden. Außerdem besteht die Gefahr, dass sich der Patient als therapieresistent erweist. In diesem Fall beläuft sich die Schmerzreduktion meist unter 30 Prozent. Etwa 30 Prozent aller Patienten, die an einer Polyneuropathie leiden, sind entweder therapieresistent oder leiden an starken Nebenwirkungen, sodass die Behandlung abgebrochen werden muss. Die Trigeminusneuralgie, die ebenfalls eine Neuropathie darstellt, ist hierbei gesondert zu betrachten. Es gibt Medikamente, die dabei wirken, bei der Polyneuropathie jedoch nutzlos sind.

Ergotherapie

Physio- oder Ergotherapie sollten stets neben einer medikamentösen Behandlung eingesetzt werden. Therapieziel sollte hierbei einerseits sein, eine Schmerzlinderung zu erzielen und andererseits entstandene Fehlfunktionen zu kurieren. Diese können sich vielseitig manifestieren. Sind von den neuropathischen Ausfällen beispielsweise Nerven betroffen, die motorische Aufgaben vermitteln, so kann es zu Bewegungs- und besonders häufig zu Gangstörungen kommen. Es gilt hierbei einen Therapieplan zu erstellen, der individuell auf jeden Patienten angepasst sein muss. Neben dem Trainieren von bestimmten Bewegungsabläufen können Hilfsmittel wie Schienen, Gehhilfen oder spezielles Schuhwerk verwendet werden. Hauptaugenmerk liegt bei der Erhaltung oder Wiederherstellung alltäglicher Fähigkeiten, um die Selbstständigkeit des Patienten zu fördern. Der behandelnde Arzt sollte mit dem Patienten genau besprechen, welche Ziele gemeinsam erreicht werden sollen.

Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS)

Bei der TENS werden Elektroden (Stromanschlüsse) auf der Haut angebracht. Sie sollten sich entweder im Schmerzgebiet oder über dem versorgenden Hauptnerv befinden. Durch geringe elektrische Stimulation, die in der Regel nicht mit Schmerzen verbunden ist, werden Nerven aktiviert. Diese liegen im Rückenmark in Nähe der Nervenstränge, die für die Schmerzwahrnehmung zuständig sind. Durch die dauerhafte Aktivierung der elektrisierten Nerven, sinkt bei vielen Patienten die Intensität der Schmerzwahrnehmung. Das Resultat ist eine länger anhaltende Schmerzreduktion. In 60 Prozent aller Fälle funktioniert diese Methode zur Schmerzreduktion bei Patienten mit verschiedenartigen Schmerzsyndromen. Auch wenn der Erfolg nicht garantiert ist, sollte dennoch ein Reizversuch unternommen werden, da dieser für den Patienten keine Nachteile bringt und kostengünstig ist.

Ernährung

Laut Ernährungsexperten können durch spezielle Ernährung die Symptome einer diabetischen Polyneuropathie ohne den Einsatz von Medikamenten gelindert werden. Ziel der Ernährungsumstellung ist es, nur noch fettarme und vegane Kost zu sich zu nehmen. Der Blutzucker soll somit gesenkt werden und mit diesem auch das Gewicht der Patienten. Mögliche Vitaminmangelzustände (Vitamin D und B12) werden mit entsprechenden Präparaten vorläufig ausgeglichen.

Ist die Ernährung erfolgreich umgestellt und die Mitarbeit des Patienten ausreichend, kann auf solche Nahrungsergänzungsmittel verzichtet werden. Wenn Fette aufgenommen werden, sollten diese hochwertig sowie pflanzlicher Herkunft sein und nicht aus tierischen Produkten stammen. Vor allem Alkohol, Fertigprodukte, Fast Food und Zigaretten gilt es zu vermeiden. Das Resultat ist ein besserer Allgemeinzustand und ein gesünderes Nerven- und Gefäßsystem.

Medikamente

Nichtopioidanalgetika

So genannte Nichtopioidanalgetika sind Schmerzmittel, welche nicht der Gruppe der Opioide angehören. Allgemein gebräuchliche Beispiele sind ASS (Aspirin), Paracetamol und Metamizol (Novalgin). Diese Arzneimittel sind gegen neuropathische Schmerzen in der Regel nicht sehr wirksam. Außerdem verursachen sie bei einer Langzeiteinnahme starke Nebenwirkungen, wie Magen-Darm-Ulzera (Magen-Darm-Geschwür) oder Nieren- und Leberschädigung. Schmerzmittel erster Wahl stellen deshalb Opioide dar.

Opioidanalgetika

Viele Patienten, die an einer Polyneuropathie leiden, sprechen auf Opioidanalgetika positiv an. So konnte durch wissenschaftliche Studien belegt werden, dass beispielsweise die Medikamente Tramadol und Oxycodon bei neuropathischen Schmerzen Linderung verschaffen. Oxycodon konnte besonders wirkungsvoll bei diabetischem Ursachenprofil eingesetzt werden. Bei der Einstellung der Dosierung wird zunächst auf Basistherapien gebaut. Verhelfen diese nicht zum erwünschten Ergebnis, kann die Dosierung langsam angehoben werden. Bevor stark wirksame Opioide eingesetzt werden, muss das vorausgehende Behandlungspotenzial vollständig ausgeschöpft werden. Die Gabe von langwirksamen Medikamenten in Form von Tabletten oder Pflastern ist Mittel der Wahl. Obwohl die Opioidanalgetika nicht sehr giftig für Organe wie Leber und Nieren sind, sollten diese durch Laboruntersuchungen regelmäßig kontrolliert werden. Schlägt die Behandlung mit Opioiden nicht an, muss die Therapie abgebrochen werden. Bei der Einnahme von Opioidanalgetika kann es zu verschiedenartigen Nebenwirkungen kommen, die die Mitarbeit des Patienten beeinträchtigen können. Dabei spielen Beschwerden des Verdauungstrakts wie Verstopfung, Übelkeit und Erbrechen eine wichtige Rolle. Mit Hilfe von Antibrech- und Abführmittel können diese unerwünschten Arzneimittelwirkungen umgangen werden. Hat der Patient vor der Behandlung bereits Verdauungsstörungen, darf nicht mit der Therapie begonnen werden.

Weiterhin beeinflussen Opioide in manchen Fällen das Nervensystem und die Psyche der Patienten – es kann zu Müdigkeit, Schwindelzuständen, Verwirrtheit und Halluzinationen kommen. Besteht beim Patient eine Suchtproblematik (der Patient ist von Medikamenten oder Drogen abhängig), so ist vom Einsatz von Opioidanalgetika abzuraten. Diese können bei Langzeittherapie zu Abhängigkeit und Toleranzentwicklung führen. Toleranzentwicklung bedeutet, dass immer höhere Dosen benötigt werden, um die gewünschte schmerzlindernde Wirkung zu erzielen. Aufgrund des Abhängigkeitspotentials müssen die Medikamente beim Absetzen langsam herunterdosiert werden, um Entzugserscheinungen zu vermeiden.

Antidepressiva

Diese Gruppe von Medikamenten wird zwar primär zur Behandlung von Depressionen eingesetzt, kann aber auch das Schmerzempfinden beeinflussen. Antidepressiva unterdrücken unter anderem die Signalweiterleitung von Schmerzfasern im Rückenmark.

Um Nebenwirkungen zu verhindern, wird die Behandlung mit einer sehr geringen Dosis gestartet, die langsam bis zum erwünschten Wirkungseintritt erhöht wird. Durch die Überprüfung des Medikamentenspiegels im Blut, kann die Dosis gut kontrolliert werden. Kommt es doch zu Nebenwirkungen, zeigen sich diese zum Beispiel in Blutdruckschwankungen und Herzrhythmusstörungen, Übelkeit und Erbrechen, Probleme beim Wasserlassen oder neurologisch-psychiatrischen Symptomen wie Vergesslichkeit, Müdigkeit und Schlafstörungen. Medikamente die in diesem Rahmen standardmäßig zum Einsatz kommen sind beispielsweise Amitriptylin, Duloxetin und Venlafaxin.

Alpha-Liponsäure

Bei diabetischer Polyneuropathie kann Alpha-Liponsäure zur Schmerzlinderung eingesetzt werden. Das Medikament verbessert die Blutversorgung der Nerven und behandelt somit nicht nur die Symptome, sondern behebt die Ursache ihrer Entstehung. Zu starke Schäden können zwar nicht wieder aufgehoben werden, jedoch ist Alpha-Liponsäure durch seine gute Verträglichkeit eine Alternative zu anderen Medikamenten die bei Polyneuropathie trotz ihrer Nebenwirkungen eingesetzt werden.

Gabapentin

Gabapentin ist primär ein Medikament zur Behandlung von Epilepsie und Krampfzuständen, das sich aber auch als wirkungsvoll gegen polyneuropathische Schmerzen erwiesen hat. Die Dosierung sollte streng durch den behandelnden Arzt überwacht und auf die individuelle Nierenfunktion eingestellt werden. Es sind nur wenige Nebenwirkungen beschrieben, die sich hauptsächlich auf Müdigkeit und Schwindel beschränken. Im Allgemeinen wird das Gabapentin gut vertragen und muss selten aufgrund seines Wirkungsprofils abgesetzt werden. Es kann zu Wassereinlagerungen (Ödeme) kommen.

Lyrica

Lyrica® ist der Handelsname von Pregabalin, das wie Gabapentin primär zur Behandlung von Epilepsie und Krampfzuständen verschrieben wird.

Die Gabe von Lyrica® lindert bei Polyneuropathie die Schmerzen vieler Patienten. Obwohl auch bei diesem Medikament die Dosis an die Nierenfunktion angepasst werden muss, verbessert sich bei vielen Patienten dosisunabhängig das Schlafverhalten.

Die Nebenwirkungen begrenzen sich hauptsächlich auf Müdigkeit und Schwindel sowie auf eine Gewichtszunahme. Ein steigendes Gewicht kann die Mitarbeit des Patienten vermindern, weshalb ein guter Arzt-Patienten-Kontakt bestehen muss. Ödeme (Wassereinlagerungen) sind auch bei der Einnahme von Lyrica® möglich.

Homöopathie

Bei einer homöopathischen Therapie wird vor allem zwischen den verschiedenen Symptomen unterschieden, die bei einer Polyneuropathie auftreten können. Aconitum wird bei stechendem oder brennendem Schmerz empfohlen und Agaricus muscarius bei Missempfindungen. Auch Spigelia und Verbascum können bei neuropathischen Schmerzen Linderung verschaffen.

Die Dosierung als auch die Form der Einnahme sollte mit einem Fachmann besprochen werden. Besteht beim Patienten eine diabetische Neuropathie, kann die Grunderkrankung behandelt und somit die Schmerzzustände vermindert werden. Auch zur Ernährung nehmen gängige homöopathische Behandlungsweisen Stellung. Dabei wird besonders auf die beschriebene vitaminreiche und fettarme Kost wert gelegt.

Weitere Informationen

Weiterführende Informationen zum Thema erhalten Sie auf folgenden Seiten:

Eine Übersicht der neurologischen Themen finden Sie unter: Neurologie Online.

Autor: Dr. Nicolas Gumpert Veröffentlicht: 15.01.2016 - Letzte Änderung: 06.11.2021